Anerkennungspreis für V.O. Pulver – Der Metal-Pionier, der seit 33 Jahren keine Ruhe gibt
Der vierte Anerkennungspreis des RFV Basel ist im Rahmen des Basler Pop-Preis 2017 am 8. November dem Baselbieter Pionier der Schweizer Metal-Szene, V.O. Pulver, verliehen worden. Eine Würdigung.
Chrigel Fisch
«Pulver gut!» vermeldete der RFV Basel im Mai 2006 in seinem Newsletter. Was war geschehen? Schnee mitten im strahlenden Frühling? Nein – die Meldung spielte auf ein stolzes Band- und vor allem Musiker-Jubiläum an, das heute, elf Jahre später, eine hochverdiente Krone aufgesetzt bekommt.
Damals, 2006, lag die Veröffentlichung eines ganz erstaunlichen Albums genau 20 Jahre zurück: Evil Is There hiess es, Carrion die Band, V.O. Pulver der Gitarrist und Sänger. Ein rohes, dreckiges, schneidendes Schnellfeuer mit Speed- und Thrash-Metal-Songs, die Namen wie «Shark Attack», «Anti-Christ» oder «Demon’s Child» in die miefigen Mitt-Achtziger-Jahre hinausbrüllten. 1986 war das in der Schweiz ziemlich einmalig.
Der Teenager-Stinkefinger an die spiessige Welt da draussen
Klar gab es in Mitteleuropa schon einige von Hardcore Punk oder Metallica oder Motörhead beeinflusste Metal-Bands: Necronomicon, Sodom, Destruction oder Kreator etwa. In der Schweiz waren es Hellhammer/Celtic Frost und Coroner. Die frühen Bands des kontinental-europäischen Metals waren – genau wie die britischen Pioniere von Venom – allesamt komplette Aussenseiter, Verachtete, Gefürchtete auch, nicht selten aus der tiefsten Provinz. Da war nichts mit der urbanen, schicken Kunstschule-Attitude vieler der frühen Punks. Metal war Kutten-, Nieten-, Jeans- und Leder-Land. Das Böse regierte aus Frust, Wut und Langeweile – mindestens in dieser eingefleischten, kleinen Metal-Szene des Landes.
Keine vollen 17 Jahre jung war V.O. Pulver (oben, Bild-Mitte), als er im Juli 1986 mit seinen Bandmates die erste (und einzige) Carrion-LP auf dem deutschen Label Gama Records heraushaute (Slayers brutales Meisterwerk Reign In Blood kam erst im Herbst 86 raus). Seine Haare waren Metal-gerecht struppig lang, ebenso lang sein Stinkefinger an die spiessige Welt da draussen. Carrion (Aas, totes Fleisch) hatte er schon mit knapp 15 gegründet. Und seit dieser Zeit, seit 33 Jahren, hat V.O. Pulver keine Sekunde mehr Ruhe gegeben.
Und jetzt dieser Anerkennungspreis.
Keine Zeit für Pausen: Carrion, Poltergeist, Gurd, Little Creek ...
Doch der Reihe nach: Seine zweite Band, Poltergeist, blieb etwas länger im Geschäft als Carrion. 1987 erschien das erste Demo, 1989 kam das Debütalbum Depression heraus (Bild: V.O. zweiter von rechts), wieder auf einem deutschen Label. 1991 dann das zweite Album Behind My Mask und 1993 das dritte; diese Platte wurde in Florida gemixt und V.O. schaute dem Meister am Mischpult genau über die Schultern. «Rückblickend muss ich sagen, dass ich dort produktionstechnisch wohl am meisten gelernt habe», schreibt er auf seiner Website.
Es war eine der Initialzündungen für ihn, selber Musik aufzunehmen, zu mischen, zu mastern. Zu V.O. Pulvers Recording Studio Little Creek dann mehr weiter unten. Zurück zu Poltergeist, die noch heute treue Fans von Südamerika bis Osteuropa im Rücken wissen: 1993 erschien das dritte und letzte Album der Liestaler Band, für eine sehr, sehr lange Zeit: Nothing Lasts Forever hiess es, ziemlich prophetisch, denn nach dem Fiasko der damaligen Release-Tour (zusammen mit Coroner aus Zürich) hatte es sich ausgepoltergeistert. Die Band löste sich 1993 auf (Coroner übrigens auch. Und nebenbei: Celtic Frost auch).
Shows vor 20 000 Metal-Fans, Tourneen mit US-Bands
V.O. Pulver aber nahm das Scheitern als Chance und gründete 1994 Gurd (gurD, umgekehrt gelesen = Drug). 25 Jahre alt, bereits vier LPs im Kasten, ein grosses Netzwerk und jede Menge Power. 1995 und 1996 legten Gurd unglaubliche drei neue Alben und eine EP vor (das selbstbetitelte Gurd und Addicted 1995; D-Fect und D-Fect–The Remixes 1996). Schon 1996 konnte die Band am niederländischen Dynamo Festival vor 20 000 Metal-Fans spielen, unzählige Tourneen folgten, etwa 2007 und nochmals 2009 mit der befreundeten New Yorker Band Pro-Pain. Oder 2011 auf der «Neckbreaker's Ball Tour» durch ganz Europa, wo auch die Schweizer Pagan-Metal-Band Eluveitie mit dabei war.
Das 20-Jahr-Jubiläum seiner langlebigsten Band Gurd ist 2014 standesgemäss im Z 7 in Pratteln gefeiert worden (mit Pure Inc.), überhaupt hat wohl keine Basler Band öfter die heilige Fabrikhalle des Z 7 gerockt als V.O. Pulvers Flagschiff Gurd. 2016 eröffnen sie gar für die US-Thrash-Metal-Fürsten Anthrax.
Zwar haben Gurd noch nie auf dem Floss in Basels Fluss gespielt, dafür aber auf dem 339 Meter langen Kreuzfahrtschiff Independence Of The Seas im karibischen Meer: Im Januar 2015 waren Gurd eingeladen, zwei Shows beim legendären «70 000 Tons Of Metal»-Cruise durch die Karibik zu spielen. Auch Heavy-Metal-Fans nehmen es mit den Jahren, in die sie gekommen sind, etwas gemütlicher und luxuriöser. Für die Band auf der Bühne ändert sich aber nichts: immer Vollgas mit V.O.! Metal, Musik als einzig wahre Droge. Und okay, ab und zu ein Chillout am Strand (Bild).
12 Langeisen mit Gurd – über 100 Studioalben für andere Bands
Wer Gurds brachiale Musik nicht kennt, hier ein kurzes Profil: «Charakteristisch sind neben V.O. Pulvers Piratenchef-barschen Lead Vocals die brutal komprimierte Power und Präzision der Rhythmusabteilung, während die Gitarren vorne alles klar machen, ohne gleich durchzudrehen. Und selbst wenn Gurd das Genre Metal ihr Zuhause nennen, ist die Sound-Seelenverwandschaft der Basler Band zu US-Hardcore, UK-Grind, Groove/Crossover oder Punk Rock für Nicht-Metalheads immer eine gute Ausrede, um bei Gurds Metalldrehbänken vorbeizuschauen.»
Sagenhafte 12 Langeisen, also LPs, haben Gurd mit Frontmann V.O. Pulver bis 2014 veröffentlicht (gesamte Discography siehe unten). Fake heisst das aktuelle Album, im Titelsong übt V.O. Medienkritik und benutzt den 2014 noch nicht so inflationären Begriff Fake News: «Watching the news makes me sick and sicker everyday. Fake, a fucking fake, try to manipulate our will to live», heisst es in «Fake» (ganze Plattenkritik hier). Da ist jemand immer noch sehr zornig, auf die Manipulation der Machtlosen durch die Mächtigen, und vieles mehr. Aber aus dem jugendlichen Rotz-Teenager-Stinkefinger ist längst eine geballte Faust geworden. «I stand up today/Freedom now for you and me.»
Breit- und raubeinig, so steht V.O. Pulver vor seinem Publikum und nicht nur dafür wird er auch weit herum respektiert. Die Metal-Community hat ihre eigenen Regeln und Codes; Metalhead zu sein, hat sehr viel mit Eigenverantwortung, Eigeninitiative, Toleranz und Respekt zu tun. V.O. Pulver ist ein leuchtendes Beispiel dafür, wie ein Musiker gegen alle Widrigkeiten an seinem Ding festhält, es durchzieht, mit offenem Visier, Realness und einer Tonne Enthusiasmus und Wut im Bauch – und einem Lächeln auf den Stockzähnen. Wer ihn kennt, weiss: Auch nach 33 Jahren hat V.O. sein Pulver noch längst nicht verschossen.
Metal-Handwerk hat keinen goldenen Boden
V.O. Pulver als Pionier der Schweizer Metal-Szene, V.O. als bestechender und charismatischer Handwerker an Gitarre und Mikrophon, V.O. aber auch als Tech-Handwerker, Finetuner und Sound-Garant für andere Bands: In seinem 2002 gegründeten Little Creek Studio in Gelterkinden (seit 2016 auf dem Maloya-Areal, Ormalingen) hat er in 15 Jahren weit über 100 Platten für Bands aus der Region Basel, aus der Schweiz, Deutschland und den USA aufgenommen, abgemischt, auch gemastered und produziert. Reich wird man nicht als Metal-Maniac, vor allem nicht als Familienvater zweier Teenager. Sein Handwerk hat keinen goldenen, sondern den metallenen Boden der Aussenseiter. Metal- und Rock-Kenner hören V.O.s Handschrift sofort heraus: made-in-Little-Creek-Produktionen sind mächtig, dicht, präzis und absolut schnörkellos.
Der Blick nach vorne noch, bevor der erste Schnee fällt: Eine neue Gurd-EP ist bereits in Arbeit und kommt Anfang 2018 vermutlich als Vinyl-only-Release in die Läden; mit der Band seiner Frau Inga, in der er ebenfalls Gitarre spielt (und die schlicht und einfach Pulver heisst), ist ebenfalls ein Album in der Mache. Und ... da poltert doch wieder der alte Geist an die Tür: 2018 soll die fünfte Platte von Poltergeist erscheinen. Immer Vollgas mit V.O.
Pulver gut also, oder: Pulver immer besser.
Danke für deine Arbeit und deine Musik, V.O.!
V.O. Pulver: Discography
LPs mit Gurd
Einige CDs und LPs sind über den Gurd-Shop erhältlich.
2014 Fake
2011 Never Fail
2009 Your Drug Of Choice
2006 Bang!
2005 10 Years Of Addiction
2003 Encounter
2000 Bedlam
1998 Down The Drain
1996 D-Fect
1996 D-Fect - The Remixes (EP)
1995 Addicted
1995 gurD
LPs mit Pulver (mehr dazu hier)
2013 Let It Shine
2008 Pulver
LP mit Pänzer (mehr zu dieser All-Star-Combo hier)
2017 The Fatal Command
LPs mit Powderrose
Die beiden CDs sind über das Label verfügbar.
1999 Same Old Game
1997 Powderrose
LPs mit Poltergeist
Die Alben wurden in den letzten Jahren neu aufgelegt und sind damit wieder verfügbar.
2016 Back To Haunt
1993 Nothing Lasts Forever
1991 Behind My Mask
1989 Depression
LP mit Carrion
1986 Evil Is There
Anerkennungspreis des RFV Basel
Über 20 Kultur- und Musikjournalisten aus der Region Basel und der Schweiz vergeben in einem zweistufigen Nominierungsverfahren den Anerkennungspreis des RFV Basel im Rahmen des Basler Pop-Preis. Der Preis wird seit 2014 verliehen und ist mit 5 000 CHF dotiert. Verliehen werden kann er an eine Musikerin/einen Musiker, die/der
- seit mindestens 25 Jahren kontinuierlich musikalisch arbeitet (alle Stile der Popmusik),
- hohe künstlerische Qualität und grosse Relevanz für die regionale Szene ausweist,
- heute noch stark präsent ist und mit Auftritten und Veröffentlichungen in Erscheinung tritt.
Bisherige Preisträger sind V.O. Pulver (2017), Black Tiger (2016), Pink Pedrazzi (2015) und Roli Frei (2014).