Navel – Loverboy

Reviews
Navel © Tabea Hüberli 2013
Navel © Tabea Hüberli 2013

Navel stehen seit 2006 bei einem deutschen Plattenlabel unter Vertrag, zuerst bei Louisville Records, seit dem letzten Album Neo Noir bei Noisolution Records, beide Berlin. Der RFV Basel hat deshalb von einem deutschen und von einem Schweizer Musikjournalisten eine Einschätzung zum neuen Album Loverboy der Lauftentaler/Basler Band eingeholt. Für Deutschland: Pascal Cames. Für die Schweiz: Albert Kuhn.

22.Januar 2013

Album Review / RegioSoundCredit

Review I von Albert Kuhn Bloss Blues, Man?

Die ersten Sekunden eines Navel-Songs verursachen eine Art Schrecken: Sie sind messerscharf perfekt. Auch wenn das bloss sowas wie verdrehte, verlorene Bluesnummern sind – Navel fahren radikal mit der Vorstellung ab, dass Blues irgendwie etwas Gemütliches sei, wobei man sich zurücklehnen könnte – so, wie das am ehesten im Berner Session-Blues gehandhabt wird.

Auf der neusten Navel-LP, betitelt Loverboy, kackt ein kleiner Junge in den Busch und marschiert stracks nackig wieder dahin, woher ergekommen ist. Will heissen: Leckt mich wohin ihr wollt. Navel treten auf und hauen ab. In «Hollow Skies» fliegen die Messer; ein klassischer Nevermind-Moment. Noch nie war Jari Antti näher bei Kurt Cobain.

Sun People fucking die

Und noch nie waren Navel so überall. Loverboy ist die abwechslungsreichste Navel, die es je gab. «Love her, love her, love her ...», eine Rock’n’Roll-Nummer, die dir die Zunge bis in die Lunge runterstreckt. Mit dem Refrain: «Umarm sie – bevor sie weg ist.» Eine grandiose Lauberhornabfahrt im Dunkeln ist «Shine On», die fremden Stimmen, minutenlanges Ausklingen von metallischen Geräuschen der Ausserirdischen. Und ein Gedanke: «The streets are empty, but I know where you are.»

Zusätzlich zum Album lancieren Navel «The Sun For Me», ein Video, das die Band noch weiter aus ihren bisherigen Gefilden herauskatapultiert (s.u.). Man sieht die Band in Early-Seventies-Drogen-Stimmung, Hendrix-Tenue, orgellastig-bombastischen Sound produzierend. Auch wenn man die Augen geschlossen hätte, würde man erraten: Dies ist Jari Anttis Stimme und der Sound ist: Psychedelic-Depression-for-Sun-People-not-afraid-to-fucking-die-Rock.

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Review II von Pascal Cames Phase 4 – Navel rocken die breite Strasse

Vor zwei Jahren wurden Navel an dieser Stelle mit einem «dunklen Kanonenboot auf dem Rhein» verglichen «das Christian Kracht leider in seinem letzten Roman nicht verewigt hat.» – Okay, das war etwas übertrieben, aber nur etwas, denn Navel waren quasi schon immer einen Punkt höher auf der nach oben offenen Richterskala, als vergleichbare andere Bands. Und sie waren lauter, grösser, ambitionierter als üblich für eine Rockband aus einem kleinen Land. Mit ihrem neuen Album Loverboy erfindet sich die Band neu, aus dem Trio ist ein Quartett geworden, das Management hat gewechselt, geblieben sind Mastermind Jari Antti, das Label, die Egomanie alles selbst zu tun – komponieren, arrangieren, produzieren, Artwork, etc. – und der Griff nach den Sternen. Sie wollen wieder die freie Welt rocken. Aber, welche Band will das nicht?

Gefeiert und verdammt

Es wäre Navel nicht zu verdenken, wenn sie das nicht mehr wollen. Dass es die Band noch gibt, ist eh ein kleines Wunder. Der Verlauf der Karriere seit der Gründung in einer Ricola-Fabrik im Laufental anno 2003 ist so harmonisch wie die Börsenkurse der vergangenen Jahre. Die Band wurde über alle Massen gefeiert, als es noch kein Album gab, sie spielten am SXSW Festival in Austin/Texas, in Montreux, am Eurockèennes, am Eurosonic, in siffigen Jugendhauskellern« sie rockten im Vorprogramm einiger grosser Bands und schmissen den Job wieder, mussten eine Label-Pleite überstehen, bekamen 2009 den Basler Pop-Preis und hatten mit einem heftigen Personalwechsel zu kämpfen. Vielleicht standen sie sich sogar selbst im Weg? «Das Grunddings ist von mir und zum Schluss gebe ich den Songs noch den letzten Schliff. Und mit den Aufnahmen mach ichs wieder kaputt» beschrieb Jari Anttivor zwei Jahren vom Werden und Sterben der Songs.

Heisses Eisen Rock'n'Roll

Nach dem Blues-Rock-Kanonenboot-Album Neo Noir (2011) befindet man sich jetzt in Phase 4: vierte Besetzung, Quartett und vierte LP/EP Album. Loverboy ist kein «Neo Noir, Part 2» eher ein «Renoir», denn jetzt wird einiges anders gemacht und doch nicht. Jari Antti ist laut, Navel sind laut (wer Neo Noir liebte, wird auch hier den Göttern danken). Auch wenn die Macht der Gitarre erdrückend ist – heulen, gniedeln, krachen, nerven – und auch Bass und Schlagzeug es tüchtig scheppern lassen, hat sich die Band verändert. Man fragt sich, ob Songs wie «Right To The Next Fire» oder das Album eröffnende «Cold Blood» nicht zu viel des Guten sind, sprich zu eingängig. Letzte Ausfahrt Mainstream?

Voll Karacho in die rote Zone

Navel fahren dieses Mal mit ihrem Schlitten die ganz breite Strasse ab, vor wechselnden Landschaften: Vom lauten, grossspurigen Sound geht es zu einem wohl von The Clash inspirierten Song mit 70er-Jahre Gitarre und dann in die Prärie («Bury My Luck In This Town») mit Country-Rock-Gitarre und einem beseelten Jari am Mikrofon. Später wird gezündelt, «Hollow Sky» brennt. Heisses Eisen Rock'n'Roll: Mit bellendem Gesang, Gitarre für den Weltuntergang, Tamburin und Bass voll Karacho in die roten Zone.

Navel habens nicht also nicht verlernt, sind aber vielseitiger geworden und öffnen sich mit ihren «smarten» Songs ein paar Türen mehr. Passend dazu ist das Coverfoto von Hilary Hulteen, einer Chronistin des amerikanischen Alltags. Loverboy ist der Soundtrack dazu. Loverboy loves you live.

Navel – Loverboy (Cover)
Navel – Loverboy (Cover)

Navel – Loverboy

(Noisolution Records/Irascible) ist am 8. Februar 2013 mit einem Beitrag des RegioSoundCredit veröffentlicht worden.

Navel sind bis auf weiteres: Jari Antti (voc, git), Marco Näf (bs, voc), Massimo Tondini (keyb, git) und Martin Huber (dr).

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