Flimmer – Picture Disco: Befreiungspunk als meditativer Hirnfick

Reviews
Flimmer © 2009
Flimmer © 2009

Flimmer – diese selten live anzutreffende laute Basler Band mit den zwei dicken Bässen und dem rasenden Schlagzeug – hat noch nie einfach eine normale Platte abgeliefert. Das letzte Machwerk hiess Singing/Filming und erschien Ende 2009 im Hochformatkarton mit CD (Musik) und DVD (Filme) und Postkartenset. Das schöne Ding passt nicht in den CD-Stapel, in der Vinyl-Abteilung ginge es unter und an die Wand nageln wär auch schade: Also steht es nun im Bücherregal des Docs, zwischen Franz Dobler (Auf des Toten Mannes Kiste – Get Country & Rhythm!) und Eldridge Cleaver (Seele auf Eis) und macht sich gut dort.

Album Review / RegioSoundCredit

Komplette Nischenprodukte sind es, was Flimmer in ihrer Säurefabrik in den letzten zehn Jahren fabriziert und mit kreativen bis seltsamen Titeln versehen hat (wir verwenden hier nicht das neue Modewort «bizarr», obwohl es passen täte). 

Man könnte nun denken, Flimmer sei introvertiert – stimmt ja auch. Mindestens die drei freundlichen Schwerarbeiter an den beiden Bässen (Oli Ruch und Andreas Mauz) und David Pfluger (Drums; Inhaber der Säurefabrik). Jedoch die Musik von Flimmer ist komplett extrovertiert, es ist laute, hyperaktive Musik nach vorne, Hardcore und Free Jazz, Noise und Punk, Grindcore und Rauschen («ein Flohzirkus der Stile», so die Promotext). No compromises, no Sir! Hier geht Stagediving von unten nach oben auf die Bühne. Wer schon dabei war, weiss das.

Präziser Befreiungs-Punk

Und nun also die neueste Platte aus dem Hause Flimmer: Picture Disco, eine auf exakt 100 Exemplare limitierte LP, die aber nicht mit 33, sondern mit 45 Umdrehungen abgespielt wird. Und zwar in der neuen Rekordzeit von 21 Minuten für 14 Tracks. Allerdings – das gibt der Doc seelenruhig zu um halb 9 Uhr morgens – hat er die erste Seite der LP auf 33 abgespielt und das klang auch sehr gut.

Der wirkliche und höfliche Wahnsinn wird dann aber mit 45 Touren hörbar: Es ist einfach fucking schnell und präzis gespielter Befreiungs-Punk mit wenigen Ruhepausen. Und zwar nicht in athletisch hochgepitchter Death- und Metalcore-Manier, sondern in einer angenehm knarzigen, analogen Oldschool-Variante, die man den farbig tätowierten Ganzkörperlackaffen von z.B. Bring Me The Horizon natürlich nicht verkaufen kann. Egal. «I’m Against It» – dagegen sein aus Prinzip – heisst die Antwort von Flimmer und die ist auf der LP Picutre Disco auch drauf.

Optisch macht einen Picture Disco von Anfang an kaputt; man schaut nämlich auf eine Picture Disc im wahren Sinne, auf ein grafisches Gebilde, das das Auge nicht fixieren kann. So beginnt es schon vor dem Hören der Musik im Kopf zu flimmern und wenn das gefühlte 500 Gramm schwere Teil dann endlich auf den Plattenteller gehievt worden ist, geht’s grad nochmals los. Doch Flimmer atmet Freiheit und deshalb geht man doppelt gerne mit.

Hirnfick der wahren Kunst

Was bleibt von diesem meditativen Hirnfick der wahren Kunst am Schluss übrig? – Mindestens ein Lächeln und der Drang, rauszugehen und diese Scheissfrühlingsblümchen allesamt auszurupfen. Zuviel der verlogenen Schönheit, elende Welt! – Natürlich nicht. Man geht im Gegenteil wie frisch geduscht und gut getuned ins Leben raus und tut Gutes.

Zum Schluss des Album geben Flimmer noch den Song «Ingwer» und daraus brauen wir uns einen schönen Tee und legen uns in die Disco auf die Schnellstrasse. Man kann die Welt anhalten, doch doch: mit Flimmer.

flimmer-2013-picture-disco-side-b

Flimmer – Picture Disco

A Tree In A Field Records / Irascible) erscheint am 2. Mai 2014 als Picture Disc Vinyl mit einem Beitrag des RegioSoundCreditund kann auch über die Website des Labels bestellt werden.

Play Video