Scratches – Fade: Heute ist dein Tag.

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Scratches © zvg. 2014
Scratches © zvg. 2014

Knut & Silvy waren eine der interessantesten Bands in der Basler, ach was: Schweizer Pop-Historie. Die 90er Jahre ihr Reich. Ein Duo. Ein Mann und Multiinstrumentalist (Knut Jensen) und eine Frau, Schauspielerin eigentlich, an Stimme und Instrumenten (Silvia Buonvicini). Irgendwann hörten Knut & Silvy einfach auf. Geblieben sind einige super Platten und eine Website.

Album Review / RegioSoundCredit

Nun kommen Scratches, Basels neue dunkle Flamme. Eine Frau (Sarah-Maria Bürgin, die von der Freien Theaterszene kommt, an Stimme und Keyboards) und ein Mann (Sandro Corbat an Gitarre und Geräten). Natürlich treten Scratches nicht in die Fussstapfen von Knut & Silvy, denn einerseits sind die Fussstapfen praktisch komplett zugeschneit und andererseits machen Scratches ihr eigenes Ding. Wir schreiben das Jahr 2014.

Rätsel, Dramen, Geheimnisse, Schatten – und der Bär
Das Ding von Scratches heisst Fade und ist in den letzten zwei Jahren entstanden. Aufgenommen und produziert worden ist Fade von Giacun Schmid; als Gastmusiker sind Samuel Dühsler (dr), Marco Nenniger (bs) und Igor Kravarik (p) mit ins Studio gekommen. Es hat ein wenig gedauert – hat sich aber mehr als gelohnt.

«Scorpion Boy» eröffnet das Debutalbum (immerhin in der Vorabversion) mit dem Bär auf dem Cover. Ein toter Körper liegt im Elefantengras, ein Mädchen («who’s that girl / people ask»). Rätselhaft die Lyrics, monumental verkratzt die Stimme von Sarah-Maria Bürgin, betörend der lockere Groove, die flirrende Gitarre von Sandro Corbat, der unrasierte Beat aus dem Unterbewusstsein. Dramatik wohnt in «Scorpion Boy», und einige Geheimnisse. Ein Song, der die ganze rauchende und saufende französische Existentialistenszene heilen könnte – würde es die Szene noch geben.

Ein brutal nackter Blues

Und so geht es weiter auf Fade. Ein brutal nackter Blues treibt die Songs vorwärts, mal fliegend, mal hypnotisch, mal todlyrisch und man wird das Gefühl nicht los, hier etwas völlig Neuem und Uralten zugleich beizuwohnen. Zeuge zu werden von etwas, was man gar nicht wissen wollte. Das einen aber nicht mehr loslässt. Vielleicht, weil es ein Echo auf die eigene Sehnsucht und den Zeithaufen hinter uns ist.

«Die Songs von Scratches kreisen um das Lebensgefühl von Rissen, Narben und Leerstellen, von Verblassen und dem Erinnern», schreibt die Band in der Ankündigung zur Plattentaufe am 31. Mai 2014 im Parterre Basel. Das glaubt man gern, muss aber anfügen, dass die Lyrics zwar heavy stuff sind, die Musik aber mit einer Leichtigkeit durchs Treppenhaus weht, dass einem nicht traurig wird ums enge Herz und wenn doch, ist's auch nicht so schlimm. Man findet ja Trost.

Wie aus einem Jarmusch-Film herausgerissen

Zum Beispiel «Losing You» ist ein Song, in dem die Erzählerin mitten in der Nacht beim Suppekochen von der Gewissheit befallen wird, jemanden zu verlieren. «Sphere Car» beginnt mit der Zeile «Neighbours wonder who you are», lass sie doch rätseln, lass sie urteilen, aber: «send me a breeze to comfort me / on and on and on and on.» Und immer weiter. «Shadow» stolpert in dein Schlafzimmer wie aus einem frühen Film von Jim Jarmusch herausgerissen, – oder war es doch Fellini? – ein Zirkussong mit verblassten Bildern aus einer wilden Kindheit, mit Daddys Spässen, Mama’s Jam und einem Bruder, der verschwindet. Und «Killers Taste», eine finstere Nacht auf verlorenem Posten: «We have to get out of here / It‘s the killers birthday /... / My babyboy is dying in these fields», hol uns hier raus / hol uns raus! Ein ungeklärtes Drama, zu dem es auch einen kunstvollen, irritierenden Videoclip gibt (siehe unten).

Zum Schluss dann «Angelhair», ein Song, der irgendwie auch eine Versöhnung sucht mit den zehn hochdramatischen Songs davor. Mit der Geschichte. «No one holds you back / it‘s your choice, it‘s your life», singt Sarah-Maria Bürgin, während sich die Musik dahinschleppt, als müsste sie Tom Waits’ Kühlschrank hinter sich herziehen. Und am Schluss des Songs und dieser hochverehrten Platte kniet das Mädchen mit dem Engelshaar vor dem Christbaum und es heisst: Heute ist dein Tag.

Aber das ist lange her, und wiederholt sich gerade. Engelshaar ist blond, nicht wahr?

Scratches, Fade, jetzt schon eine der Platten des Jahres der Melancholie. Und endlich eine Platte, die nicht Pop ist. Hört euch das an. Gebt es weiter. Hört euch das an. Gebt es weiter. And on and on and on.

Scratches – Fade (Cover)
Scratches – Fade (Cover)

Scratches – Fade

ist am 31. Mai 2014 mit einem Beitrag des RegioSoundCredits des RFV Basel als CD erschienen und kann auf der Band-Website bestellt werden.

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