L’Arbre Bizarre – Bokeh: Going Underground 2016

Reviews
L'Arbre Bizarre © Robyn Trachsel 2016
L'Arbre Bizarre © Robyn Trachsel 2016

Da sind sie wieder, Basels beseelte und zweifelnde Anti-Rock-Rumtreiber. L’Arbre Bizarre legen zwei Jahre nach der EP Distorted Reflections den ersten Langspieler auf Vinyl und CD vor. Wurde auch Zeit, findet Doktor Fisch und nimmt sie sich für die Musik.

Album Review

Bokeh heisst das Album der fünf Twentysomethings (Bokeh ist ein Begriff aus der experimentellen Fotografie und meint manipulierte Unschärfen im Bildhintergrund, die die Wahrnehmung des geneigten Betrachter verarschen) und steht recht einsam im Tageslicht herum. Tageslicht ist schlecht für diese Musik. Die zerzauste, aufgebrachte, windige, dunkle Nacht ist der richtige Ort. «Nein, dies ist kein Frühlingsalbum», heisst es im Pressetext, korrekt. Die Platte könne «als Streitschrift gegen die gesellschaftliche Einförmigkeit verstanden werden». Ebenfalls korrekt.

Einmalig klingen mit eigenständiger Ästhetik

Obwohl die Lyrics dann streckenweise doch recht introspektiv-persönlich bis wehklagend gehalten sind und weniger als allgemeine Streitschrift oder Gesellschaftskritik. Egal. Nach fast sechs Jahren Band-History und fast 50 Live-Auftritten haben L’Arbre Bizarre schon einiges im funktionierenden Underground erreicht: Ziemlich einmalig zu klingen nämlich. Und eine eigenständige Ästhetik zu pflegen, die nicht selten etwas absonderlich oder hässlich daherkommt (okay, die Fische auf dem Cover von Bokeh und im Video von «C.U.I» sind natürlich allerliebst). Doch: Hässlichkeit zu kultivieren ist eine gute Waffe, um die überschön designte Welt des permanenten virtuellen Konsums zu demaskieren. Das Leben ist eben keine App und auch kein Apfel. Aus schön wird schnell langweilig. Doch wir haben zum Glück L'Arbre Bizarre, also.

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Back to Post Punk ohne Retro

Da fällt einem eigentlich nur eine andere Schweizer Band ein, die ähnlich eigenständig und eigenwillig rumkurvt, Klaus Johann Grobe aus Basel/Zürich nämlich, die Unschuld mimenden Enkel des einstigen Wirtschaftswunders in der Spätphase. Beide Bands gehen mit ihren ästhetischen und musikalischen Referenzen in dieselbe Zeit zurück: ans Ende der 70er, an den Anfang der 80er Jahre nämlich. Klaus Johann Grobe zu NDW und Krautrock, L’Arbre Bizarre zu Post Punk und Wave. Beide Bands aber sind alles andere als Retro, sondern taufrisch.

Zur Musik auf Bokeh, die von Jari Antti (Navel) im 1000W Studio in Laufen aufgenommen und gemischt wurde (Mastering: Dan Suter, Echochamber Zürich). Das verhallte, unscharfe, auch mal dumpfe Klangbild unterscheidet sich wohltuend von der üblichen Rock-Konfektionsware. Was den Sound auf Bokeh alles andere als radiomassentauglich macht. Na und? Als Live-Band fahren L’Arbre Bizarre sowieso öfters ein ekstatisches Weltuntergangskino auf. So konnten die 5 kürzlich verdientermassen im Zürcher Bogen F die New Yorker Band A Place To Bury Strangers supporten.

Play Video

10 Songs für den Underground

Der Opener «Out Of The Reach» legt mächtig los als kreischender, verzerrter Bastard, der mit straightem Wave-Beat durch die Tundra fegt (geschrien klingt die Songzeile «this is out of the reach!» fast wie «this is a son of a bitch!»).

«C.U.I», die Single zum Album, folgt als dunkelschwarz schimmernder, gothic-angehauchter Song über Unglück, Erniedrigung und falsches Lachen. Am Schluss hängt der Protagonist an der Decke – und lacht. Hoffentlich keine Referenz an Ian Curtis von Joy Division, dessen Leben tatsächlich am Strick endete ... (C.U.I könnte man als «see you, Ian» lesen, aber: Ende der Mutmassungen! Wir sind hier ja nicht bei den Beatles).

  • «Nomad» reist mit arabisch klingender Gitarre durch sonnenlose Unzeiten
  • Anspiel-Tipp für den Doc: «On Screen». Startet als lockerer Popsong und endet im noisigen Gewitter eines «we are blind, and don’t care»-Mantras
  • «No Signal (feat. Oszilot)» hört sich an wie eine experimentelle Vertonung von Burroughs Naked Lunch
  • «Missing Output» schreddert wortlos alles tot
  • «Riverine» spaziert dann wieder ruhiger durch das Unterholz, bevors am Schluss um Todessehnsucht geht
  • «Miss St. Tropez» klingt überhaupt nicht so wie der Titel, sondern rotzig nach «misery and pain»
  • «Dave» wird dann richtig wütend, Sänger Kevin Seiler spricht Klartext im Noise-Orkan
  • und am Schluss schauen wir in den «Opaque Mirror» und lauschen im Dunkeln.

Wow, das wars schon: Bokeh ist eine rebellischer und nackter, mal poetischer, mal roher Brocken Underground-Musik gegen alles, was nach Konvention, Kompromiss, Autorität, Lüge und Verrat riecht.

L'Arbre Bizarre – Bokeh (Cover)
L'Arbre Bizarre – Bokeh (Cover)

L’Arbre Bizarre – Bokeh

(Sonic Gaze Records/Irascible) erscheint am 8. April 2016 als CD, LP und digital.

L'Arbre Bizarre sind (im Bild ganz oben, von links): Florian Denzinger (git, syn, vln), Sven Seiler (bs), Andri Mahler (git), Kevin Seiler (voc, git, syn), Thomas Bachmann (dr).