The Leaving – Faces: Blick in den Abgrund

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The Leaving © 2016
The Leaving © 2016

Frederyk Rotter ist Metal-und Rockmusiker und Labelbetreiber. Nun veröffentlicht er unter dem Namen The Leaving ein Folkalbum voller Schwermut und Schmerz.

Album Review / RegioSoundCredit

Wann schläft Frederyk Rotter eigentlich? Letztes Jahr veröffentlichte er ein Album seiner Metal-Band Zatokrev und gastierte bei der Colmarer Industrial-Truppe Crown, nun bringt er unter dem Namen The Leaving ein Folkalbum raus. Dazu ist der Mann Labelbetreiber: Czar Of Crickets gewann letztes Jahr den Businesssupport des RFV Basel. Und weil Rotter so viele und vor allem so verschiedene Bands unter seinen Fittichen hat, teilte er die Firma unlängst in Czar Of Bullets (hart) und Czar Of Revelations (zart) auf.

Was auf diesen Labels erscheint? Platten von Zlang Zlut und Phased zum Beispiel oder auch die erste EP der Basler Poppreis-Gewinner Serafyn. Rotter (Bild) hat ein sicheres Gespür für Qualität und die Energie, seine Entdeckungen mit der Knochenarbeit eines Labelbetreibers zu fördern.

Unterwegs mit internationalen Szenegrössen

Hier und jetzt geht es nun aber um Frederyk Rotter, den Musiker und Songwriter. The Leaving operierten im Studio als Quartett. Neben Rotter spielen Alexandra Werner (Cello, Serafyn), Tobi Glanzmann (Gitarre, King Legba And The Loas) und Schlagzeuger Silvio Spadino (Psychbitch, früher auch Zatokrev). Faces versammelt zehn dunkle Folksongs, die in meist gedrosseltem Tempo ihre Bahnen ziehen. Ein bisschen drauf einlassen muss man sich schon, doch dann entwickeln die Stücke einen unheimlichen Sog, exemplarisch dafür die Single «Hurtmachine», die einem nach dem zweiten Hören nicht mehr aus dem Kopf will:

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in Schwermetaller als Folksänger, das mögen manche ungewöhnlich finden, doch abwegig ist es nicht. Zatokrev gehören nicht zu jenen Bands, die wahlweise von Rittern und Drachen oder Girls und Drinks singen. Ihr Metal ist schwer und finster und blickt in die Abgründe. Und dort treffen sie auf manchen Folksänger – wer hat denn mehr von den Abgründen gesungen als ein Townes Van Zandt?

Darum ist Rotter nicht der erste schwere Junge, der das Storytelling zur akustischen Gitarre entdeckt. Scott «Wino» Weinrich von den Doom-Pionieren The Obsessed und Saint Vitus etwa spielt immer wieder düsteren Folk, und auch Scott Kelly von Neurosis gibt gern den Country-Barden. Mit Letzterem war Frederyk Rotter soeben auf Tour, was nicht nur musikalisch passt, sondern auch zeigt, welchen Status der Basler in der internationalen Szene geniesst.

Musik voller Schwermut und Schmerz

Von ungefähr kommt das nicht. Abgesehen davon, dass Zatokrev in der internationalen Metalszene grossen Respekt erfahren, hat sich Rotter auch solo schon länger einen Namen gemacht. Als Zatokrev vor einigen Jahren in eine tiefe Krise fielen, machte sich der Bandleader allein mit seiner Gitarre auf und spielte eineinhalb Jahre lang über 200 Konzerte quer durch Europa. Dokumentiert ist diese Phase auf dem Album Even If We Sleep, das 2010 unter dem Namen Fredy Rotten erschienen ist.

Faces ist also ein Folk-, eine Singer-Songwriting-Album und dadurch auch Menschen zugänglich, denen Metal und Rock zu heftig sind. Doch fehlender Krach und Donner bedeuten nicht zwangsläufig leichte Kost. Auch The Leaving spielen intensive Musik voller Schwermut und Schmerz. Immer wieder setzt das Cello Akzente und verleiht den Songs eine wunderbare Traurigkeit. Rotter singt mit sanfter Stimme, die sich öfter an die Melodien tastet, statt sie im Brustton der Überzeugung zu intonieren.

Die Instrumentierung bleibt meist unplugged, erst gegen Ende darfs auf «Hands» etwa auch mal eine angezerrte Gitarre sein. Stilistisch ist man klar im Folk verortet, aber doch eigenständig genug, dass einem nicht gleich Vergleiche einfallen. Gut, «Pulse» schlängelt sich zum Abschluss durch Gefilde, die ein wenig an «Norwegian Woods» der Beatles ähneln. Sonst aber stehen – oder steht – The Leaving ganz für sich selbst.

Jeder Songtitel besteht aus einem, starken Wort («Drug», «Fire», «Hands»), Songtexte gibts im Booklet keine, dafür zu jedem Lied ein Gesicht im holzschnittartigen Stil. Kongenial ist ein oft vorschnell verwendetes Wort, hier aber beschreibt es die verbale und optische Umsetzung der Klänge treffend: Das Publikum erhält Anhaltspunkte und starke Bilder, doch bleibt genug Weite und Tiefe für eigene Assoziationen.

Frederyk Rotter überzeugt auch als Folksänger mit einem Album, das vom Inhalt bis zum Drumherum stimmig daherkommt. Keine Ahnung, wie der Mann das alles schafft. Wahrscheinlich braucht er einfach wenig Schlaf.

The Leaving – Faces (Cover)
The Leaving – Faces (Cover)

The Leaving – Faces

(Czar Of Revelations/NonStopMusic) erscheint am 26. Februar 2016 als CD und digital (z.B. via BandCamp), mit einem Beitrag des RegioSoundCredit des RFV Basel.