Heavy Harvest – Rats: Die Drei von der Punkstelle

Reviews
Heavy Harvest © Ilenia Ballacchino 2017
Heavy Harvest © Ilenia Ballacchino 2017

Drei wütende Twentysomethings liefern die aufpeitschendste Platte des Jahres. Doktor Fisch über die frischeste Absage an die Punk-Gemütlichkeit seit es Ratten gibt.

Album Review

Wer poltert und flext da an der Praxistüre? Mit abgesägter Gitarre, verzerrtem Bass, kreischendem Organ und bretterndem Ohrfeigenschlagzeug? Sind es die Geister der US-Punk- und Hardcore-Heroen Black Flag, Helmet, Circle Jerks, Shellac, Hüsker Dü, den Minutemen und Bad Brains?

Nein, es sind die Drei von der Punkstelle. 

Genauer: die Drei von Heavy Harvest aus Basel, die mit Rats ihr erstes – wie man im Metallwarenladen so schön sagt – «Langeisen» an die Wand nageln. «Rat Wiper» heisst der Türpolter-Song von oben (etwa: Rattenwischer), und gewidmet ist er – wenige erinnern sich an ihn – Greg Sage von den Wipers, einer der frühen und einflussreichsten Alternative-Post-Hardcore-Bands der US-Westküste. Heavy Harvest in Old-School-Nostalgie?

Wir müssen über Scheisse reden

Nein, wir schreiben das Jahr 2017 und Frontmann O’Neal (git, voc), Bassist Aaron und Drummer Jonas verdichten auf Rats eine Menge Wut, Frust, Anarchie, Verachtung und Lärm zur Punk-, Hardcore- und Rock-Frischzellenkur. Was sie mit Rats abliefern, ist so ziemlich das Aufregendste an ungestümer Musik aus Basel seit Navels erster 7inch Forsaken Speech (2006). Heavy Harvest halten sich nicht mit Stilfragen, Schubladen oder Masterplänen auf. Sie legen einfach los. Sehr roh, sehr laut, sehr dreckig – und sehr befreit von diesem überproduzierten, konformen Spotify-Mist, der sonst so wichtigtuerisch im Rock-, Bubblegum-Punk- oder Metalcore-Stream abhängt.

Anders gesagt oder genau so: Obwohl meist unpolitsch in ihren Lyrics, scheissen Heavy Harvest – kraft ihrer Attitude – doch explizit auf alles was an Politik, Macht, Blendung und Arroganz unseren Planeten beherrscht. Und ihre Scheisse klingt besser als das meiste, was in diesem Jahr an Angry-DIY-Music rausgekommen ist. Befreiung durch Chaos.

«Ich bin ein Nagetier, ich knabbere deine Füssen an, ich esse die Scheisse vom Fussboden weg» heisst es im Song «Rat Wiper». Ganz schön panische, nihilistische Wut hängt da in der Luft knapp überm Fussboden. Klar ist das Noise Rock, Punk, Stoner Rock – doch irgendwie bleibt dieser Metal-Riff hängen, den Helmet seit «In The Meantime» auch nicht mehr besser hingekriegt haben.

Ultradicht, unverkrampft: Hier kommen die Ratten. In die Fresse. Aber with love.

Soll aber kurz werden hier, deshalb: Alle 10 Songs auf Rats gehen steil, jeder auf seine Art: «The Wait» ist komprimierte Nacht, Angst, Sehnsucht. «Brain» ist pure Maschine, «Season Of The Witch» ein dreckiger, schneller Bastard, «Motionless» der kläffende Traum eines Irren. «Jar» erinnert irgendwie an Alice In Chains, «Softly Spoken» (we don’t need you) ist ein ultradichter Tobsuchtsanfall, «Eraserhead» ein würgender Albtraum, und … alles zusammen prächtig frisch, clever kanalisiert, unverkrampft und verdammt mächtig.

Heavy Harvest (stammt der Begriff nicht aus dem ehrenwerten THC-orientierten Hanfanbaugewerbe?) haben seit 2013 bereits zwei EPs veröffentlicht, sind auf dem Trinity-Sampler des Hirscheneck Basel vertreten und dann für die Rats-Aufnahmen ins Working Class Studio von Marc Bouffé (Hathors, Winterthur) gereist. Und das hat sich mehr als gelohnt, denn Bouffé (der mit Hathors, ebenfalls im Trio, als Speerspitze des CH-Noise-Rock durch die Welt zieht) hat dem Sound die rohe Energie gelassen, gar komprimiert, und den wilden Drive perfekt und transparent eingefangen.

Und so poltern Heavy Harvest an unsere Tür und schleifen uns zu ihrer Party, während da draussen die Welt als orientierungsloser Kahn durch die Meere zieht und die Mehrheit immer noch glaubt, die Silicon-Valley-Milliardäre wollen eine bessere Welt für alle.

Fertig mit der blinden Algorithmen-Gläubigkeit, fertig mit Online-Sklavenhaltung, fertig aber auch mit der Punk-Gemütlichkeit: Hier kommen die Ratten. In die Fresse. Aber with Love. Mit dem vorletzten Song «Through Your Eyes» hält uns die baumlange Oberratte O’Neal, gesegnet mit dem Blut seiner jamaikanischen Mutter, noch ein Akustikständchen: «I just can’t find the cure / I just can’t see the end».

Kein Ende in Sicht für diese Band – und die aufpeitschendste Rock-Platte des Jahres.

Heavy Harevst – Rats (Cover)
Heavy Harevst – Rats (Cover)

Heavy Harvest – Rats

(Irascible) erscheint am 12. Mai 2017 als LP und digitial, z.B. über Bandcamp erhältlich.

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