Guy Mandon – Stream: Schrecklich cooles Meischterwärk

Reviews
Guy Mandon © Gregor Brändli 2018
Guy Mandon © Gregor Brändli 2018

Wenn es möglich wäre, Jahreszahlen als Adjektive zu verwenden, würde ich behaupten, das Album Stream von Guy Mandon ist das 2018-igste CH-Album, das mir je zu Ohren gekommen ist. Zwar ist es bereits im November 2017 veröffentlicht worden, doch trifft es heute, an einem kalten Nachmittag im Februar 2018, punktgenau das Schwarze im Herzen des Nervs der Zeit.

Album Review / RegioSoundCredit

Guy Mandon – auch bekannt als der Typ hinter Octanone und als Lucien, der Drummer/Sänger von Alt F4 – ist schon seit geraumer Zeit ein fester Bestandteil der regionalen Musikszene. Früher im Fricktal anzutreffen, heute eher beim Ping Pong spielen im Kleinbasel, hat er mit Lines wie «Din Fründ passt nid zu Dir» (Alt F4) oder «Stefan wurum blibsch du eigentlich jedes Wuchenänd dihei? Chöntsch doch usecho mit eus, denn hättisch bitz meh Style.» (Octanone) schon vor Jahren bewiesen, dass Mundart-Musik eben doch cool sein kann.¹

Riskante Coolness, nackt unter der Dusche

Dabei handelt es sich um eine sehr spezielle, fast schon riskante Art der Coolness. Dieselbe Art, wie sie die österreichische Band Bilderbuch zurzeit zelebriert, um ein prominentes Beispiel zu nennen. Eine Coolness, die sich die fast unangenehme Intimität und Direktheit der eigenen Landessprache zu eigen macht und dich nackt unter der kalten Dusche erwischt.

Ein textlich gekonntes Spiel zwischen Ironie und Ehrlichkeit, in Kombination mit dem Aufgreifen von eigentlich schrecklichen Modeentscheidungen und Synthie-Klängen aus der Generation unserer Eltern; sich an absolut uncoolen Stilmitteln wie Falcos Rap-Stil und Ambient-Teppichen à la African Dream Pop zu bedienen und sich dabei total ernst nehmen; als erwachsener Typ mit Bernsteinkette und so einem «Schwänzli», die in den 90ern alle Jungs im Kindergarten als Frisurelement hatten, selbstbewusst vor dir stehen, völlig darauf scheissen, was du davon hältst und sich dabei als Trendsetter herausstellen. Das ist die Coolness, die ich meine.

Auf Stream vereint Guy Mandon die genannten schrecklichen Stilmittel mit genau der richtigen Attitüde, und genau das macht das Album eben so saumässig 2018. Die musikalische Vielfalt darauf reicht von sanften Ambient-Pop-Nummern wie «Lueg doch gnau» (Musikvideo unten) über süffigen Electro-Synth mit Disco-Einschlag z.B. bei „Zrugg zo dem» oder bei der Single «Kokosfett», und Industrial bei «Chriesiland» bis zu fast schon abstrakten elektronischen Soundscapes bei «You» und «Planets».

Dabei sollte ich den Begriff «schreckliche Stilmittel» wieder relativieren, denn gut eingesetzt und arrangiert, kann man damit offensichtlich richtig gute und interessante Musik erzeugen. Das schafft Guy Mandon auf Stream wie kein anderer. Zwei Jahre hat er an der Scheibe gearbeitet. Zwei Jahre, die er selbst als «wichtigen Lernprozess in Sachen Produktion, Detailverliebtheit und Geduld» bezeichnet.

Guy Mandon © Gregor Brändli 2018
Guy Mandon © Gregor Brändli 2018

Kompromisslosigkeit als Fluch und Segen

Diese akribische Herangehensweise und die Zusammenarbeit mit grossartigen Gastmusikern (u.a. Manuel Gagneux von Zeal & Ardor an der Gitarre bei drei Songs) machen das Album zu einem wahrhaften Meisterwerk, das eigentlich über die Landesgrenzen hinaus erfolgreich werden müsste. Da kommt aber wieder die Sprache ins Spiel: Da es Mundart gesungen ist, bleibt die Chance auf internationalen Erfolg gering. Das wiederum ist die Frucht einer künstlerischen Kompromisslosigkeit, die diese Scheibe so cool macht. Also Fluch und Segen zugleich.

Böse Zungen könnten nun behaupten, Guy Mandon hätte sich der momentan florierenden 90er-Jahre Retro-Welle verschrieben und sei somit auf einen bereits bestehenden Hype-Train gestiegen. Die genannte Kompromisslosigkeit von Stream, der Fakt, dass darauf Mundart gesungen wird und er mit Octanone bereits vor sieben Jahren mit dieser Art von Klangästhetik gespielt hat, sowie Guys visionäre Weise mit Sound umzugehen, beweisen das Gegenteil: Guy Mandon steigt auf keinen Hype-Train. Er ist der Lokführer davon.

¹ Ebenfalls coole Mundart-Alben: I mach mit von Matto, Hey Wichsers von Knöppel und Kobra Effekt vcn Kobra Effekt.

Guy Mandon – Stream (Cover)
Guy Mandon – Stream (Cover)

Guy Mandon – Stream

(Radicalis Music) ist am 3. November 2017 als LP und digital mit einem Beitrags des RegioSoundCredit erschienen. Gibts im gut sortierten Plattenhandel, bei Cede.ch und auf allen digitalen Kanälen.

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