The Night Is Still Young – King Of The Bees: Das Album seines Lebens

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Zehn Jahre hat sich The Night Is Still Young für diese Platte Zeit genommen. Eine wahre Mission. Doktor Fisch kann das Debütalbum des 32-jährigen Basler Musikers und Songwriters Marco Naef natürlich nicht in fünf Minuten abhandeln, zumal sich der Mann mit dem Album eine oppulente, schöne Gegenwelt mit vielen wundersamen Details erschaffen hat, die es zu entdecken gilt.

Album Review / RegioSoundCredit

Die Töne kommen aus dem Herzen des Menschen, heisst es irgendwo. Und die Worte? «Came drifted through the window», wie der grosse Townes Van Zandt einmal gesagt hat. Vom Wind durchs offene Fenster hereingeweht. Ob Töne und Worte genau zu trennen sind beim Urknall des Songs, überlassen wir besser dem Moment der Inspiration, der viele Kleider trägt. Doch genau so sollte man wohl Songs schreiben: das Herz geöffnet, auch dort, wo es auf nur oberflächlich verheilte Wunden zeigt, und sich irgendwo hinlegen oder setzen, wo der Wind ohne Hindernis hinkommen kann, von weit her aus einer Kammer der Unendlichkeit herbeigeweht. Und genau das, stellt man sich vor, hat Marco Naef getan, um endlich die neun Songs zum Debütalbum seines lang gehegten Soloprojekts The Night Is Still Young (TNISY) zu schreiben, zu arrangieren und in langer, sorgsamer Arbeit fertigzustellen.

The Night Is Still Young © S. Knapp 2017
The Night Is Still Young © S. Knapp 2017

Auf der Suche nach dem Glück, mit grossen Songs im Gepäck

Zehn Jahre hat es also gedauert, bis TNISY/Marco Naef dieses behutsam ausbalancierte Konzeptalbum in die Welt entlassen hat. Man kennt ihn als düster tätowierten Bassisten von Navel, wo er fünf Jahre lang – auf zwei Alben und auf unzähligen Konzerten bis weit in die Welt, etwa nach New York – mitgewirkt hat. Und als Initiator des Flüchtlingsevent Get Up Off Your Butt (Kaserne Basel, 2015). Und natürlich als Sideman von Don’t Kill The Beast und in anderen Bands.

TNISY aber ist älter, länger gereift und ausgehend von 50 Songs entstanden. Das Debütalbum, perfektionistisch und mit Wohlklang dargebracht, erscheint in einer handgemachten und aufwändigen limitierten Vinyl-Ausgabe. Die neun Songs sind eher retrospektiv und introspektiv, klagend, auf Pein gebaut, Licht und Schatten, im Ansatz aber doch versöhnlich oder auf dem Weg dazu. Und auf der Suche nach dem verlorenen Glück, das vielleicht gar nie da war oder vielleicht auch romantisch überhöht wird. Wer weiss. Man will den hehren, diffusen Ansprüchen dieses Scheisslebens genügen, aber wann ist man denn wirklich genug? Sich selber, den andern? Eine Antwort wäre: «Genug kann nie genügen», so wie es die grosse Poeten-Saftwurzel Konstantin Wecker schon vor 40 Jahren verkündet hat, und er hatte wohl recht. Doch abschweifen ist doof, zur Musik:

Sehnsucht, mit dem ganz grossen Lasso eingefangen
Allein schon die drei Songs «Lisboa», «Here Comes The Sun» und «Walking The Wall» bilden ein Hit-Dreigespann, für das sich andere Songwriter die Fingernägel wegkauen würden. «Lisboa» erzählt als einziger Song eine abgeschlossene Geschichte, eine Liebesgeschichte in der Ferne, die im realen Leben für einen Moment lang aufgeht: «Love / Life / We are unique». Da wird Sehnsucht eingefangen, mit dem ganz grossen Lasso, dem allumfassenden Gitarrenriff, an dem Chris Isaak seine helle Freude hätte. Ein Trottel, wer nicht auch dort sein möchte, wo dieser Song spazieren geht, an der Mündung des Rio Tejo im alten Lissabon, an den Gestaden des Atlantischen Ozeans.

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Handarbeit mit Liebe – eine Ode an die Einzigartigkeit

Das Artwork auf der Innenseite der aufklappbaren LP stammt von Alexandra Kaufmann (ihr Pseudonym ist Walter Wolff.) Das Wimmelbild hat die Künstlerin in wochenlanger Handarbeit aus einem Schabkarton gekratzt, es zeigt die zweiköpfige Schlange, die eine Biene belauert, darum herum lodernde Flammen und ein offenes Fenster. Einige wenige Fotos sind ebenfalls abgedruckt: Fotos von Marco Naefs Grossvater Alfred (eine zentrale Figur, dem auch das Album gewidmet ist und der im Song «A Ghost Is Watching Over Me» auftaucht), von seiner mexikanischen Grossmutter. Von der Studioband (Bild oben). Und von sich selber als kleiner Junge (Marco Naef war als 13-Jähriger tatsächlich Schweizer Meister im Strassenradrennen. Nach einem schweren Autounfall musste er den Sport begraben. Heute fährt er u.a. auch als Fahrradkurier durch Basels Strassen).

Dieses Album ist ein grosses, persönliches, handnummeriertes Stück Handarbeit, das TNISY als «Ode an die Einzigartigkeit» versteht und damit entweder komplett anachronistisch oder dann an der Speerspitze eines neuen Micro-Trends in der Landschaft steht: Handwerk ist besser, analog auch, Kunst ist unverzichtbar, der postmoderne Westmensch braucht mehr Hand & Herz, aber bitte nicht zu überrissenen Hipster-Preisen. Sondern so einfach schön und souverän wie auf King Of The Bees. Aufgenommen und produziert hat das Album Alain Meyer (Sheila She Loves You), der auf dem Wolf in Basel ein Tonstudio betreibt, wo immer mehr hingehen, zurecht. Grosser Sound.

Der König ohne Krone, mit dem Bienengewimmel in Kopf

Zurück zur Musik also: «Here Comes The Sun», grosser, ruhiger Song, üppig orchestriert mit Orgel, Gitarren, Chor, (Anna Aaron und Nadia Leonti), Refrain und vielem mehr. Der Song handelt von der Unvollkommenheit, von der Angst vor dem Nichts, vor der Unkomplettheit des Lebens, von der Sonne, die am Ende alles rettet. Durch Licht und Wärme. Wie der Titelsong «King Of The Bees» kommt auch «Here Comes The Sun» sehr wohlklingend, harmonisch und raumfüllend in die Nacht geweht. Die Stimme bleibt kontrolliert, warm in ihrer Melancholie, aber kontrolliert, als wäre die Angst vor dem Kontrollverlust noch grösser als die Angst vor dem Nichts. «King Of The Bees», eingezählt und durchgezogen von einem unanständig lässigen Schlagzeugteppich (Joachim Setlik von Sheila She Loves You; die ganze Band war bei den TNISY-Aufnahmen im Studio), breitet eine vermeintliche Coolness aus. Hier ist TNISY der «König ohne Krone, gelähmt und verwirrt von den Bienen in meinem gottverdammten Kopf». «Angst frisst Liebe. Liebe ist Pein», heisst es mitten in diesem sakralen Sound.

Night Songs im Sonnenlicht
Vom Anfang zum Ende: Mit «Assassin» beginnt der Trip im Uptempo-Ritt, mit «Two Headed Snake» endet er, im leichten Sound des frühen Frühlings. Man tritt auf die Strasse hinaus, während der Sound nachhallt, und denkt: Wenn Du leben willst, im Jetzt, musst Du vergeben, alles und allen. Befreie dich! Das möchte man Marco Naef, dem Getriebenen und Zweifelnden, zurufen. Sicher ist diese Platte auch ein Befreiungsschlag von vielem und ein mitreissender obendrein.

Vielleicht ist der König der Bienen aber noch ein paar wenige Flügelschläge vom Ziel entfernt, hier, auf dem Album seines Lebens. Doch genug der Mutmassungen: Diese neun Night Songs, funkelnd im Sonnenlicht, kleiden sein persönliches Drama und das gestreifte Glück sehr eindringlich in ein luftiges, helles Kleid, das überall getragen werden kann. Zieht es euch an. Die Nacht ist noch jung.

The Night Is Still Young – King Of The Bees (Cover)
The Night Is Still Young – King Of The Bees (Cover)

The Night Is Still Young – King Of The Bees

(Radicalis Music) erscheint am 23. März 2018 als LP und digital mit einem Beitrag des RegioSoundCredit.

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