Zeal & Ardor – Stranger Fruit: Blut für den neuen Gott!

Reviews
Zeal & Ardor, Brixton Academy London © 2018
Zeal & Ardor, Brixton Academy London © 2018

Das erste «richtige» Album der Basler Pop-Preis-Träger füttert den Hype und übertrifft auch hohe Erwartungen. Die Frage lautet nicht mehr, wie lange Manuel Gagneux die Metaller bei Laune halten kann. Sondern wie lange er sich noch im selbst gewählten Stilkorsett von Zeal & Ardor bewegen will.

Album Review / RegioSoundCredit / Basler Pop-Preis

«Strange Fruit» heisst ein Billie-Holiday-Song über gelynchte Afroamerikaner, die wie «sonderbare Früchte» in den Bäumen hängen. Stranger Fruit heisst das zweite Album von Zeal & Ardor, der Band von Manuel Gagneux. Den Zusammenhang mit dem Lied aus den alten Südstaaten schafft das abschliessende «Built On Ashes», in dem Gagneux von Afroamerikanern singt, die in den USA unserer Tage von Polizisten erschossen auf der Strasse liegen. Oder habt ihr gemeint, dieser Typ mache einfach so eine Art satanistische Spirituals?

Manuel Gagneux © Stian Foss 2018
Manuel Gagneux © Stian Foss 2018

Der unerwartete Hype – Weltweit

Musikalisch packt dieser Song noch einmal zusammen, was diese Platte speziell und gross macht: die Stimme zwischen Soul und Schreiattacke, das Ruf-und-Antwort-Spiel der Worksongs, sirrende Gitarren (hier mehr Postrock als Black Metal), die prügelnde Double Bass und die unheimliche Stille zwischen zwei Klavierakkorden. Es ist ein Song, der nach Abschied klingt. Nicht nur, weil sich das dramaturgisch so gehört zum Abschluss eines anständigen Albums. Sondern auch, weil man sich fragt, in welche musikalische Richtung es Manuel Gagneux als nächstes zieht.

Erst einmal geht es hier aber um Stranger Fruit, das erste «richtige» Album von Zeal & Ardor. Sein Vorgänger – Devil Is Fine – löste vor zwei Jahren (als Demo auf Bandcamp, dann als reguläres Album vor einem Jahr) mit der Verbindung von afroamerikanischer Sklavenmusik und Black Metal einen völlig unerwarteten Hype aus. Gagneux wurde überrumpelt. Die Songs hatte er mit einfachen Mitteln im Alleingang in New York eingespielt, eine Band gab es nicht. Und plötzlich kamen Konzertanfragen von beiden Seiten des Atlantiks.

Zeal & Ardor, Czar Fest Kaserne Basel © David Hunziker 2017
Zeal & Ardor, Czar Fest Kaserne Basel © David Hunziker 2017

Ein Album im traditionellen Sinn

Also scharte der 29-jährige Basler Musiker die besten Leute um sich, die er kriegen konnte. Das waren keine Söldner, sondern Musikerinnen und Musiker aus seinem Basler Kollegenkreis. Weil Devil Is Fine gerade mal 25 Minuten lang ist, musste für die Konzerte weiteres Material her, das Gagneux dann einfach mal schrieb und anschliessend monatelang live spielte. Viele dieser Songs finden sich nun auf Stranger Fruit. Konzertgängern dürften sie bekannt vorkommen, denn wer Brecher wie «Don’t You Dare» einmal gehört hat, vergisst sie so schnell nicht wieder.

Doch Stranger Fruit ist mehr als die Zusammenstellung einiger Songs, die von der Bühne ins Studio geschleppt wurden. Gagneux ging ohne Band, dafür mit dem Wiener Produzenten Zebo Adam und Mischer Kurt Ballou ans Werk. Bis auf die Drum Parts spielte er alle Instrumente selber ein.

Das Resultat ist ein Album im traditionellen Sinn, mit Spannungsbögen, Zwischenspielen und Stilbrüchen, das trotzdem einem roten (oder besser: schwarzen) Faden folgt. Es eröffnet Metal-typisch mit einem Intro aus hymnischem Gesumme und Hochfrequenz-Geraffel. Anschliessend knüpft die erste Single «Gravedigger’s Chant» strategisch geschickt und musikalisch überzeugend an Devil Is Fine an. Und gleich darauf folgt der konzerterprobte Stampfer «Servants».

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Der Musikpolizei um die Ohren

Zeal & Ardor haben ein Konzept, und daran sind Erwartungen geknüpft. Auch aus der (konservativen Abteilung der) Metalszene, wo manche die Aneignung «ihrer» Musik nicht gerne sehen und murren, der Black Metal sei bei Zeal & Ardor bloss aufgesetzt. Diese Leute bekommen die zweite Single «Waste» um die Ohren, ein Stück, das heavy loslegt und sich dann zur Raserei steigert. Anderswo gibt es lateinischen Mönchsgesang, und in «We Can’t Be Found» brüllt Gagneux: «Blut für den neuen Gott!» Ist das Metal genug?

Für Puristen ist Gagneux zu vielseitig. Er kann Metal in verschiedenen Ausprägungen, aber auch Blues, Soul und Pop, er hat seinen Alan Lomax studiert und wenn er will, singt er wie Terence Trent D’Arby. Klar, er hat schon unter dem Solonamen Birdmask gezeigt, dass er mit Melodien umgehen kann und weiss, wie man einen Refrain schreibt. Doch erst Stranger Fruit offenbart in aller Pracht, welch herausragender Songwriter und Sänger er ist, wie souverän er sich zwischen Stilen und Stimmungen bewegt.

Nehmen wir den Titelsong: Zunächst schlägt er den Zuhörer mit pochendem Piano und Geisterchören in Bann, dann zerren Gitarren und allerlei Sounds, als hätte sie Trent Reznor mit seinen Nine Inch Nails entfesselt.

Von Genres unabhängig
Stranger Fruit dürfte Manuel Gagneux' und Zeal & Ardors Erfolg bestätigen und mehren. Heute und die nächsten zwölf Wochen geht es auf Festival-Konzertreise, wobei so unterschiedliche Veranstaltung wie das Primavera in Barcelona (als erster Basler Act überhaupt), das Montreux Jazz Festival, das Greenfield in Interlaken und das Hellfest in Frankreich oder das Wacken Open Air in Deutschland auf dem Plan stehen.

Wie lange Zeal & Ardors selbst geschaffenes Stilkorsett hält, wird sich zeigen. Manuel Gagneux aber trauen wir eine Karriere zu, die unabhängig von den Genres, in denen er sich bewegt, noch jede Menge toller Musik hervorbringt.

Zeal & Ardor – Stranger Fruit (Cover)
Zeal & Ardor – Stranger Fruit (Cover)

Zeal & Ardor – Stranger Fruit

(MVKA Music/Radicalis Music, Basel) erscheint am 8. Juni 2018 als CD, D-LP, Kassette und digital mit einem Beitrag des RegioSoundCredit des RFV Basel. 

Das Album ist am 17/06/2018 in den CH-Albumcharts eingestiegen.

myPod Manuel Gagneux

Und welche Songs gefallen Manuel Gagneux? Hier sein myPod.

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