Congaking: Auf gold’nen Schwingen der Jugend entschwunden

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«Hintergründig-ironischer Deutschpop» nennen Sämi Schneider und Michael Müller – seit etwa zehn Jahren zum Congaking verschmolzene Basler Aushängeschilder des guten Geschmacks – ihre Musik. Deutschpop? Hilfe! Gibts nach «Deutschland» von Rammstein schon wieder Ärger im germanischen Musikgeschäft? – Nein, natürlich nicht. Congaking ist wundersam luftige und kluge Musik mit Poesie, die rezeptfrei in jeder Apotheke zu haben sein sollte. Denn sie heilt Kummer und andere Sorgen. Kurz vor dem Mond eh.

Album Review

8 Uhr morgens, 30,9 ° Celsius im abgedunkelten Schlafzimmer – es ist doch etwas kühler geworden über Nacht.

Schlaflos im Hegenheimer-Quartier: Doktor Fisch entklebt sich von der Matratze, stellt das Fenster schräg, greift sich das Congaking-Album vom Boxenturm und starrt ungläubig auf die Plattenhülle: Ein Raketen-Glacé im Aggregatzustand «schmelzend» ist da abgebildet.

Ganz kurz – diese üble Hitze schüttet an und für sich korrekt funktionierende Hirnbahnen mit Klumpen verbrühter, abgestorbener Zellen zu und das führt zu kurzfristigen Halluzinationen – ganz kurz also denkt der Doc, er hätte die Platte doch besser im Kühlschrank aufbewahren sollen. Dann wäre sie nicht geschmolzen! Jedes Kind in der Schweiz weiss, wie schnell ein Raketen-Glacé – einst Arme-Leute-Sommer-Versüsser für 30 Rappen, nun Hipster-Lutsche – wegschmilzt!

50 Jahre Mondlandung – 50 Jahre Frisco-Rakete

Gemach. Die Plattenhülle hat schon immer so ausgesehen. Marketingtechnisch sehr clever kommt das Album – Kurz vor dem Mond heisst es tatsächlich, und das kurz vor den Ferien – zum 50. Jahrestag der ersten bemannten Mondlandung auf den Markt. Genauer gesagt: 1 Monat vor dem 21. Juli, exakt am 21. Juni war Release dieses ersten Albums des Congakings nach Eden (2014), wo der Mond auch schon eine Rolle spielte.

In der Tat haben die phänomenalen Ingenieure von Frisco – einer mittelgrossen, bodenständigen Traditions-Glacé-Fabrik am schönen Bodensee – die Raketen-Glacé als Huldigung der Saturn-Rakete von Apollo 11 in ihren Laboren gezüchtet und auf den lokalen Markt gebracht. Natürlich nicht im Massstab 1:1, wobei das ja auch mal eine schöne Guiness-Buch-der-Rekorde-Idee wäre, ein 110,6 Meter langes Raketen-Glacé!

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Die Frisco-Crew brachte das schnittig designte Glacé auch nicht auf den Bauernmarkt, denn da gibts keine Kühlschränke, sondern in die Filialen des Konsumvereins, des Volg, der Migros und an die Kioske der Badeanstalten. Schnell wurde das Raketen-Glacé zum Grundnahrungsmittel von Herrn, Frau, Kind und Hund Schweizer und ergänzte den Warenkorb aus Raclette, Cervelat, Riz Kasimir, Schoggi, Fischstäbli und Flaschenbier, wunderbar, glaubt dem Doc, er war dabei!

Himmel, diese Hitze ... 31,1 ° und erst 9 Uhr morgens ...

Nun kurz ein Zitat von US-Präsident John F. Kennedy †, sieben Jahre vor der Apollo-Mission gesprochen und neu gelesen auf Congakings Infosheet zur neuen Platte:

«But why, some say, the moon?
Why choose this as our goal? (...)
We choose to go to the moon in this decade and do the other things,
not because they are easy, but because they are hard,
because that goal will serve to organize and measure
the best of our energies and skills (...).»
John F. Kennedy, 1962

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«Willkommen zuhause, Sonnenstrahl»

Doch zurück zur Musik, die nun auf dem Plattenteller heiss dreht. Congaking, das darf man glaube ich schon sagen, ist so was wie der melancholische Vater von Klaus Johann Grobe. Nur viel besser eingekleidet. Und schöner frisiert. Immerhin hat der Congaking bzw. die beiden Congakings Sämi Schneider und Michael Müller das biblische Alter von 50 Jahren überschritten und ist damit dort angekommen, wo der KING nie war.

Sämi Schneider, bekannter als erster Prediger der Country & Bluegrass-Kapelle Handsome And His Lonesome Boys (hier mit der Urversion des späteren Motörhead-Klassikers «Ace Of Spades») und solo als Handsome Hank (zuletzt das schöne, eher nachdenkliche Album Handsome Hank Sings About Devils And Angels).

Die Texte auf Congakings Platte sind luftig und skurril, kosmisch verzahnt und hakenschlagend schalkig, poetisch und – Achtung!– lautmalerisch mit leichtem Dada-Flair. Da macht dem Sämi Schneider so schnell niemand was vor:

«Er ist der Bart tragende Saab-Fahrer («Saab») zum Beispiel. Oder «Himmlische Zonen, Klangdimensionen, auf goldenen Schwingen, klingen und schlingern, ja, wir sind da, wir sind da, wo wir waren» aus dem Titelsong «Kurz vor dem Mond», und weiter: «Himmelskörper, Vatermörder, Funkenschlag, Blitze, und glühende Hitze, egal, egal, egal, wir sind da.» Oder «Bring den Beat an Bord, bring mich zu dem Ort, wo wir singen, wo wir bringen, wo wir swingen (…), die Zeit wird schnell vergehen, zu zweit werden wir ja sehen, wie hoch die Sonne scheint.» («Akkord»).

Congaking © 2016
Congaking © 2016

Dies alles in neun Songs, vorgetragen mit der klaren, vertrauenswürdigen Stimme des Congakings in astreinem Hochdeutsch mit wenigen, locker darin schwimmenden Englisch-Flocken. Musikalisch ist das fein geädert mit NDW, Chanson, Motown, leichtfüssigem Alternative Rock oder Funk – und natürlich Deutschpop. Aufgenommen wurde standesgemäss beim Produzenten Tobias Levin im Electric Avenue Studio in Hamburg, eine erstklassige Adresse also (Ja, Panik, Felix Kubin, Gisbert zu Knyphausen, Tocotronic, Messer etc.)

«Vergissmeinnicht» etwa, ein kleiner melancholischer Parkspaziergang mit Hund und mit Blick zum Himmel hoch und ins gebrochene Herz rein, mit solch zarter Poesie in drei Worten wie: «Willkommen zuhause, Sonnenstrahl».

Oder «Jäger der verlorenen Jugend», eine schmissige Nummer mit Motown-Bläsersatz, eine Studie über älter gewordene Typen aus den 80ern: «Sie waren nie wirklich weg, und kommen doch nicht vom Fleck, die Jäger der verlorenen Jugend», «sie hören plötzlich wieder Rap, werden niemals fett».

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Die treue Gattung der «Rock’n’Roll-Freunde»

Wehmut kommt dann auf im Song «Rock’n’Roll Friends», diese zuverlässige, treue und auch mal nerdige Gattung des Homo rockenrollensis, die sich auskennt, eher bescheiden dahinlebt und im Gegensatz zu den abgehobenen Künstler*innen oder Philosoph*innen im (ehemaligen) Freundeskreis immer da ist für den Congaking und abends auch mal zusammen ein Bier saufen geht. «Sie kennen alle Namen, von seltsamen Bands, aus einer grauen Vorzeit, die sonst keiner kennt».

«Steve Gadd» ist dann ein mit komplexen Schlagzeugstrukturen vollgezimmerter Song über ... Steve Gadd, den Ausnahme-Drummer. An dieser Stelle dürfen wir gerne den Congaking-Schlagzeuger für das aktuelle Album vorstellen, bitte einen Tusch! Simon Ramseier, genau, von den Lovebugs.

Dem Doktor haben der Titelsong und «Licht.Aus» und «Saab» am besten gefallen, obwohl er persönlich schwedische Automobile für einen monumentalen Irrtum der Ingenieurskunst hält. Was die Ingenieurskunst der NASA-Leute angeht: Der Song «Kurz vor dem Mond» verrät die ganze Wahrheit über das, was im Sommer 1969 im Orbit wirklich geschah, hört also rein in den Song!

50 Jahre, die wie im Flug vergangen sind

Dann ist die Platte auch schon zu Ende. Fast! Denn es fehlt noch «Licht.Aus». Ein kleiner, trauriger, wunderschöner Schlusspunkt. Vielen Dank die Herren, 50 Jahre sind eine verdammt lange Zeit und sie ist doch wie im Flug vergangen. Ohne Musik aber wären wir niemals bis hierhin durchgekommen, wir wären irgendwo verreckt, kurz vor dem Mond oder auch sonstwo. Auch davon singt der Congaking und hoffentlich noch lange weiter.

Congaking – Kurz vor dem Mond (Cover)
Congaking – Kurz vor dem Mond (Cover)
Congaking – Kurz vor dem Mond (Back Cover)
Congaking – Kurz vor dem Mond (Back Cover)

Congaking –Kurz vor dem Mond

(Baldo Records) ist am 21. Juni 2019 als LP und digital erschienen, erhältlich über Bandcamp (Band-App unten klicken für den Link).

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