LOAD – SuperEgo: Zeitloser Dark Pop zwischen Retro und Future

Reviews
LOAD © 2020 Benedikt Walther
LOAD © 2020 Benedikt Walther

Aus dem Nichts überrascht uns das anonyme Basler Duo LOAD mit einem grossen Wurf voller dunklem, elektronischem Pop. Elf Songs, die die 80ies zitieren und doch etwas Neues für diese seltsame Corona-Gegenwart erschaffen. LOAD klingen, als wären sie schon immer dagewesen und entpuppen sich als perfekte Fluchthelfer aus der Quarantäne – wer hätte das erwartet in dieser Zeit der dräuenden Grossen Depression?

Album Review

Diese Musik hat schon immer nur die ganz grosse Geste gekannt. Nenn sie Electronic Body Music und denk an Front 242, nenn sie Gothic und denk an Bauhaus, The Sisters Of Mercy und an Fields Of The Nephilim, nenn sie Synth Rock und denk an Depeche Mode, nenn sie New Romantics und denk an Visage, nenn es Post-Punk und sag einfach Killing Joke. Du liegst immer richtig, egal welches Jahrzehnt grad vom Kalender winkt. Denn am Ende ist diese wegweisende Musik immer Pop geworden, dunkler, wahrer Pop für den Dancefloor der Ernsthaften.

«Mary bind me to the cross | I’m your disciple, rescue me, I’m lost» («Emerald Eyes»)

Dark Romantic in der Zeitmaschine von Retro/Future

LOAD sind aus dem Nichts gekommen mit ihrem Debütalbum und wollen – grosse Geste verpflichtet – viel, sehr viel.

Das war schon im letzten Herbst klar geworden, als mit dem Track «Black Knight Satellite» die allerersten Klänge des anonymen Duos auf die Erde regneten: Das Wow-Erlebnis der Saison. Dieser Track – und nicht die obskure, gleichnamige Alien-Theorie – schraubt sich rasch und unabwehrbar in den Gehörgang und setzt sich dort dermassen hartnäckig fest, dass wir zwischen Euphorie und Panik schwankend plötzlich denken: Das kann nur ein verdammtes Virus sein!

Ja, «Black Knight Satellite» kommt beängstigend perfekt und vertraut daher, als hätten alle oben zitierten Genres der 80er ihre besten Männer (es waren fast alles Männer) aus ihren langweiligen Millionärsvillen gescheucht, um an einem Wochenende in einem geheimen unterirdischen Labor in einer unwirtlichen Gegend an der besten denkbaren Zukunft zu arbeiten. Devise: Werft all eure geheimen Source Codes und Sound Libraries in eine grosse Zentrifuge und schleudert sie zum ultimativen Ding!

Resultat: Ein packender Drive, erzeugt durch einen galanten Beat und punktgenaue Drums, elegant geschichtete Synthie-Arrangements mit ganz hellen Lampen, geschmeidige Doppel-Lead-Vocals, einen Refrain ohne Verfallsdatum, die bestmögliche Balance zwischen Schwelgerei, Verzweiflung, düsterer Prophezeiung, Erlösungsfantasie und Schönheit. Mit einem Wort: In Klang gegossene dunkelschwarze Romantik. Sie fängt uns mit dem langen Lasso in dieser öden Quarantäne ein und setzt uns auf dem feuchten, betonseligen Dancefloor der 80er wieder aus. «Zeitmaschine» hat jemand den Song genannt, und das passt.

Das tanzbare Wir-Gefühl mit LED-Lichtern
Und so erschaffen LOAD mit einigen der Tracks auf SuperEgo eine Art tanzbares Wir-Gefühl mit LED-Lichtern als Orientierungspunkte für den Landevorgang in der besseren Welt. Aber: Wer sind LOAD? Zwei Menschen aus der Region Basel, das scheint klar: Zwei Typen, Zaffre & Cyan mit (farbigen) Namen, die – endlich mal kein Mundschutz – ihre Gesichter mit leuchtenden Masken verhüllen, «um dem Stigma ‘Identität’ zu entgehen und sich der LED-Dimension hinzugeben», wie das Duo im Pressetext zitiert wird (Daft Punk hatten das schon mal recht erfolgreich vorgemacht). Natürlich bewahrt uns dieser Kunstgriff davor, die Musik der beiden Anonymi Zaffre & Cyan in Verbindung mit ihren jeweiligen Persönlichkeiten oder Äusserungen oder Ansichten zu bringen und zu deuten.

LOAD © 2020 Benedikt Walther
LOAD © 2020 Benedikt Walther

Jedoch: Pure Kunst wirkt schnell elitär und als intellektualisierter Konzeptelfenbeinturm. Nicht so bei LOAD und ihrer Musik und dem bis ins Detail durchdachten visuellen Image der Nicht-Identität im Retro/Future-Outfit. Hier sind keine leidig begabten Kunststudenten im Master-Schlussspurt am Werk, sondern erfahrene Musiker, Texter, Erlösungstheoretiker und Freigeister. Wer sie sind, werden wir vielleicht erfahren, wenn die verschobene Plattentaufe (Eros At Arms Festival Zürich, 25.4., verschoben) nachgeholt werden kann. So lange bleibt LOAD als Newcomer im Musikgeschäft nur eine Art resonanzraumfreie Existenz zwischen Stream, Visuals und Interviews –  und wirren Mutmassungen wie hier.

Retro? Wer weiss denn schon, wie spät es wirklich ist.
Doch zurück zur Musik des Debütalbums SuperEgo: Der Track «Redemption Is Not Dying But To Kill» (Erlösung heisst nicht sterben, sondern zu töten) eröffnet den erhellenden Ritt durchs Firmament. Selten ist ein Album dieser Jahre derart euphorisch eröffnet worden (sicher «Devil Is Fine» als erster Song auf Zeal & Ardors gleichnamigen Debütalbum). Seltsam ist einfach, dass man den Song sofort zu kennen glaubt – obwohl er uns doch absolut jungfräulich erreicht (tatsächlich heisst es im Text irgendwo: «a resurrected man, a virgin birth» – eine jungfräuliche Geburt also).

Genauso der Song «What's Left Of Me» – diese flehende und doch erhabene Stimme, woher nur kennt man die? Weiter: «Emerald Eyes», war schon lange da, bevor der Song aus den Boxen geflutet kommt. Oder das melancholische Gewand von «What's Left Of Me»: Das tanzte doch schon mal durch den Ballsaal des Electro-Pop, oder? – Und der knarzige Funk von «No End In Sight»: War doch schon mal im Autoradio Richtung Süden, Höhe Nyon, Sommer vor x Jahren? Und «Your Days Will Never Come»: Verdammt, die Hookline diente doch schon mal als persönlicher Soundtrack für Liebeskummer und Trunkenheit am Steuer, frühe 90er. Oder «Red Riding Hood»: Haben wir dazu nicht schon abgeschnackt, bevor es das Internet überhaupt gegeben hat? Und schliesslich der letzte Song, «Great Big White World»: Kennen wir den nicht vom almighty Marilyn Manson? Genau! Es ist aber die einzige Coverversion auf SuperEgo. Alles andere klingt vertraut, ohne je dagewesen zu sein.

Zu meckern gibts an dieser packenden Platte wenig bis nichts – okay, ab und an sind die Synthieklänge etwas zu dicht aufgetragen, da und dort hätte etwas weniger Chrom auf dem Fahrgestell auch gereicht, und der Mix ist stellenweise etwas wenig transparent. Meine Ohren, deine Ohren. Alte Ohren. Junge Ohren.

Genug. SuperEgo ist ein fast zeitloses Album voller Dringlichkeit und einer Ästhetik der Beruhigung. Und: Ob retro oder nicht – wer weiss denn schon, wie spät es wirklich ist.

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LOAD – SuperEgo (Cover, © Artwork Anxo Vizcaino)
LOAD – SuperEgo (Cover, © Artwork Anxo Vizcaino)

LOAD – SuperEgo

(Eigenverlag / Radicalis Music) ist am 17. April 2020 als LP, CD und digital erschienen. Erhältlich über diese Kanäle und als LP/CD direkt im Webshop der Band (Link in der Band-App unten).

Plattentaufe (nachgeholt vom Frühling, mit Ticketverlosung)
30.10.2020  Basel, Sommercasino. Support: Rausch, NyF

CD-Verlosung (geschlossen)
Der RFV Basel verlost 2 CDs von LOAD. Teilnehmen: E-Mail an den RFV senden, es wird keine Korrespondenz geführt.