Parco Palaz – Surface EP: Am Anfang war Musik

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Parco Palaz © Starofpersia 2018
Parco Palaz © Starofpersia 2018

Parco Palaz ist aus der Zukunft zu uns gereist und bringt Musik auf einer altmodischen schwarzen Scheibe mit. Nicht Raumschiff, sondern Vinyl. Seine Surface EP ist bereits im Sommer 2020 erschienen und versteht sich als Beginn einer dreiteiligen Sci-Fi-Story.

Album Review / RegioSoundCredit

Plötzlich dieser Sound, der wie von geheimen, kosmischen Magneten hochgehoben um uns kreist und das eben noch komplett öde Schlafzimmer/Home Office in einen funkelnden Dancefloor verwandelt. Völlig neu und doch bekannt ist dieser Sound.

Es braucht als Producer ja einiges, um im Weltmeer der elektronischen Musik mit einem neuen Release überhaupt noch aufzufallen – gerade jetzt, wo der Dancefloor wieder mal geschlossen worden ist, sowieso. Parco Palaz gelingt das auf Anhieb. Seine Musik erzählt und vereint und erzählt weiter. Und ist abgesehen davon ziemlich knusprig. Nur das Plattencover irritiert, davon aber später. Beginnen wir ganz vorne.

Faszinierend

Parco Palaz – eine Figur aus einer bislang unbekannten Science-Fiction-Story – ist aus der fernen Zukunft zu uns gereist und bringt elektronische Musik mit. Musik, die im ersten Moment so klingt, als wären Abflugs- und Ankunftsjahrzehnt seines Raumschiffs etwas durcheinandergeraten. Denn einerseits erinnert die Sound-Ästhetik der Surface EP an die Ära der ungestreamten, froh-herben 90er-Clubkultur, in der zwischen Breakbeats, Drum'n'Bass, Detroit Techno, Big Beats, Minimal und Electronica so viel gute, nach Freiheit klingende technoide Musik produziert, abgefeuert und abgefeiert wurde wie nie zuvor (und nie mehr danach, vermutlich). Und andererseits tragen die sieben Tracks doch etwas Neues in sich, etwas, nun ja, Faszinierendes.

Ohrwürmer für den Dancefloor

Die Surface EP klingt eben auch wie das lange, futuristische Echo aus jener Zeitschlaufe, aus der Parco Palaz zu uns armen, von Coronaviren geplagten Erdenbürger*innen auf den Planeten Erde gereist ist. Mit anderen Worten, siehe oben: ziemlich neu, frisch und dampfend. Für einmal wird hier kein feines, staubfrei geschichtetes Klangmaterial für den nur leicht klickenden, mondänen Comfort-Zone-Dancefloor präsentiert, sondern zum Teil recht lauter, pumpender Strom samt funkelnder Melodien und hinterlistig ohrwurmender Hooklines.

Die Musik auf der Surface EP klingt also meist ziemlich physisch. Die Tracks klingen wie von einem Kerl produziert, der ursprünglich wohl eher aus der eskalierenden Raver*innen-Schule kommt denn aus der der zugeknöpften Coffee-Table-Abteilung des Elektronikstudierzimmers.

Abgesehen davon: Doktor Fisch freut sich immer über Zeitreisende aus der Zukunft – sie beweisen immerhin, dass es eine gibt. (Zukunft  – aber auch Musik).

Parco Palaz – Surface EP (Cover)
Parco Palaz – Surface EP (Cover)

Gegensätze vereinen

Entgegen dem EP-Titel ist der Sound aber nicht oberflächlich, im Gegenteil: Surface zieht eine*n sofort rein, hier werden unerhörte Geschichten erzählt und Gegensätze vereint. Nach sieben Tracks ist schon Feierabend, schade: Die Extended Play hätte gern auch eine Long Play sein dürfen.

Vom fast schon fröhlich steppenden «Sierra Nevada» bis zum melancholisch kratzigen «Equations Interlude» geht die Reise; vom retrofuturistisch quengelnden «Sword» hin zum industrial-dubby Drum'n'Bass-Rumtreiber «Nomadology» mit der bösen Bassdrum; oder vom eingängig zwitschernden Funk von «Burning Heart» zur raumgreifend ausgelegten Sound-Perlenschnur im Titeltrack «Surface». Und ganz am Ende der EP spricht der grosse Afrofuturist und Freigeist Sun Ra zu uns; ein kurzes Statement über die Kraft der Musik als spirituelle und universelle Sprache der Menschen.

Das ist nicht so weit weg von der Mission des Parco Palaz', der sich – so geht die Legende – nach einem Unfall einem chirurgischen Eingriff am Herzen unterziehen musste (welch Koinzidenz ... seufzt Doktor Fisch) und nun danach strebt, sich ganz in einem «organlosen Körper zu verwirklichen», wie der Schöpfer der Figur sagt. Davon zeugt, als künstlerischer Hinweis, eben auch das Coverdesign der EP (© Ausias Pérez & César Rodríguez), das eine blendend weisse 3D-Drucker-Brustkorbschablone zeigt, eine Art künstlicher Panzer also, den Parco Palaz nun auf seinen interstellaren Abenteuern vor sich herträgt.

Die Musik ist der erste Teil einer grösseren Geschichte
Parco Palaz' EP ist der erste Teil einer langen Geschichte, die uns noch erzählt werden wird – so verspricht es uns der Schöpfer der Sci-Fi-Figur. In dessen und Parco Palaz' Drehbuch folgt nach dem Release der EP samt Coverdesign bald ein kurzer Animationsfilm aus einer dystopischen, fernen Zukunft, in der totalitäre Strukturen vorherrschen, Hybrid-Mensch-Maschinen leben und eine unsichtbare Energie als Waffe gegen die ... doch zu viel sei hier nicht verraten! Viel lieber würden wir den Animationsfilm sehen, nur fehlt dafür noch ein Teil des Produktionsbudgets.

Nach dem Release des Kurzfilms wird Parco Palaz dann auch tatsächlich als rematerialisierter Live Artist in Erscheinung treten – diese Performance als dritter Teil der Palaz-Saga ist für dieses Jahr geplant gewesen. Doch das unsichtbare Corona-Virus hat auch diese Pläne vorerst geknickt. So hat die Parco-Palaz-Crew noch etwas mehr Zeit, finanziellen Support für den eigentlich fertig gescripteten und geplanten Kurzfilm aufzutreiben.

Wir Menschen – nicht nur Opfer von Corona, sondern auch Auslöser

Der Vordenker, Producer und Musiker hinter Parco Palaz hat sich mit nur zwei EPs als einer der interessantesten Producer elektronischer Musik in der Region etabliert. (Vertreten wird er von der Agentur Planisphere.) Wie viele Musiker*innen und Künstler*innen hat er die Corona-Krise auch anderweitig zu spüren bekommen. So musste etwa seine Künstler-Residenz, für die er von einer internationalen Jury für diesen Sommer am Moskauer Konservatorium (Zentrum für elektroakustische Musik) ausgewählt worden war, auf den Sommer 2021 verschoben werden.

Auch andere Engagements fielen für den Basler Produzenten und Künstler, der mit Klanginstallationen, Film-Sound-Design, Kompositionen, Software-Programmierung, DJing und Live-Interpretationen (etwa Karlheinz Stockhausen am Jazzcampus) sonst ein vielbeschäftigter Mann ist, wegen Corona flach. «Aus künstlerischer und kulturwirtschaftlicher Sicht ist es ein Desaster», schreibt er in einem E-Mail und relativiert aber in der Gesamtschau auf die Pandemie: «Aus gesellschaftlicher Sicht müssen wir uns aber nicht als Opfer, sondern vielmehr als Auslöser*innen dieser Pandemie begreifen und fragen, wie wir in Zukunft mit solchen Geschehnissen umgehen.»

Parco Palaz – Surface EP

(Akoya Circles) ist am 17. Juli 2020 als EP digital und auf Vinyl mit einem Beitrag des RegioSoundCredit des RFV Basel erschienen und zum Beispiel im Plattfon Laden in Basel und natürlich über Bandcamp erhältlich.

Parco Palaz wird vertreten von Planisphere Basel (Alma Negra, Mehmet Aslan, Michal Turtle u.a.)

Parco Palaz auf SRF Virus in der Sendung «Ampère».

Neu: Turbolife Tapes
Ausserdem von und mit Parco Palaz erschienen:
Parco Palaz & Superpuma: Open Tape 2 (10.10.2020, Turbolife Tapes)