Twerking Class Heroes - EP Trilogie: Naturtalente der Mensch-Maschinen-Welt

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Twerking Class Heroes (c) zvg 2022
Twerking Class Heroes (c) zvg 2022

Längst sind die Twerking Class Heroes mit ihrem Live-Projekt vom Geheimtipp zum Abräumer mutiert. 2023 zeigt das Basler Duo mit drei experimentellen EPs zwischen Dub. Breakbeat und Ambient, wie schwindelerregend der Aufstieg von den Acid-Jam-Anfängen zum Gesamtkunstwerk ausgefallen ist.

Album Review

Nur selten ist es der Fall, dass ein Clubprojekt länger für den Aufbau benötigt, als ihr Set dauert. Bei den Twerking Class Heroes ist dies der Fall: Lebhaft in Erinnerung blieb einem, wie der Audiodesigner Till Zehnder und Multimedia-Künstler Gabriel Meisel für einen Auftritt an der Art Basel im Jahre 2016 Koffer voll Hardware in den Pop-Up-Store der Spira Gallery schleppten, verkabelten, antesteten. Der Soundcheck dauerte entsprechend: Bis alle Synths und Drum Machines des Geräteparks liefen, dauerte es gut und gerne ein paar Stündchen.

Bindeglied zwischen rabiater Club-Mucke und experimenteller Live-Performance

«Wir sehen uns als eine Art Bindeglied zwischen rabiater Clubmusik und experimenteller und live performter elektronischer Musik - diese hat es in der momentanen Clubkultur leider nicht leicht», erklärt dazu Till Zehnder: «Es ist immer einfacher DJ`s anzufragen, als sich die Mühe zu machen Leute zu organisieren, die elektronischen Sound live spielen. Diese hat die Eigenschaft, dass es durchaus freier und spontaner ist und auch etwas imperfekteres hat, als ein durchdachtes DJ Set.»

Der Aufwand allerdings, der hat sich bereits damals mehr als gelohnt: Bei den ausgeklügelten Sounds des Duos geriet das Blut des Art-Parcours-Publikum richtiggehend in Wallung. Schon in den ersten Minuten war die Tanzfläche zum Bersten voll, gegen Ende der Darbietung hingen Schwaden von Schweiss in der Luft, tropfte und perlte es von der Decke. Zum Schluss der Live-Jamsession jubelte ein durchnässtes Kunst-Publikum minutenlang den beiden Hardware-Magier zu. Kein Wunder, wurden die Twerking Class Heroes daraufhin rasch vom Geheimtipp zum Staple der Basler Elektronikszene.

Twerking Class Heroes (LIVE) | Tele Glitch

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Zwei Millionen Spotify-Plays

Doch nicht nur das: Auch international stellte sich rasch ein erstaunlicher Erfolg ein. So konnten die Twerkers mit ihrem bisher erfolgreichsten Track bereits massive zwei Millionen Klicks auf Spotify verbuchen. «Alles hat sich irgendwie organisch ergeben, wir hatten uns nie Gedanken zu Tourplänen, Venues Scouting, Labels anschreiben oder sonstiges gekümmert, Eines kam irgendwie zum Anderen», relativieren die Twerking Class Heroes ihren anfänglichen Erfolg.

Erst recht nicht wollen die Freigeister sich stilistisch festlegen – oder dem Vorwurf der kulturellen Appropriation anheim fallen: «Viele Leute schreiben uns an und fragen, ob wir nochmals solche Bollywood Fusion Songs produzieren könnten. Aus streamingtechnischer Sicht würde es absolut Sinn machen an diesen „Hit“ anzuschliessen. Mit dieser Arbeitsweise wollten wir aber ein Stück weit brechen. Es kann nicht sein, dass wir mit sehr wenig Bezugspunkten zur Indischen, Tamilischen Kultur vor allem durch solche Songs bekannt werden.»

Kollektive Lust am Tanzen

Ziel bleibt vielmehr «die Produktion introvertierter, repetitiver, nachdenklicher Musik welche die kollektive Lust am Tanzen stimuliert.» Nach einigen Jahren mit vollen Terminplänen voller Clubnächte, DJ-Gigs und Konzerttouren haben die Twerking Class Heroes die Zwangspause genutzt, um kritisch Bilanz über ihr bisheriges Schaffens zu ziehen. «Während Corona haben wir die freien Tage im Studio verbracht und unsere alten Drum Computer und Synthesizer ausgepackt – und unsere alten Musikproduktionen diskutiert.»

Dabei wurde den beiden klar, dass sie sich musikalisch weiterentwickeln wollen: «Wir setzten uns das Ziel, Studio-Produktionen und eine jammige Live Show gleichzeitig zu erarbeiten. Also an Songs und Sounds zu arbeiten, die Spass machen zu produzieren, für uns selbst sprechen, aber auch extrem Bock machen, Live zu performen.» Dabei seien sie zunehmend in die semimodulare Arbeitsweise hineingerutscht.

Drei EP’s wie aus einem Guss

Das Resultat nun sind drei EPs wie aus einem Guss: Bark Scale, Corallium und die am 21. Oktober erscheinende, dritte EP Crevassa. Allen gemeinsam ist das offene Motto «Verarbeitung von Welt in Clubmusik». Doch sei die Trilogie viel näher mit ihnen als Personen verbunden, als die ersten Werke. Das zeigt sich an der im Vergleich zur früheren Verspieltheit fast überraschenden, konzeptuellen Strenge: Thema aller drei EP’s ist das Verhältnis von Mensch und Natur. Statt vom ersten Moment an «auf die Zwölf» abzugehen, und ein imaginäres Clubpublikum zu Begeisterungsstürmen hinzureissen, lassen sich die Tracks viel Zeit, Spannung aufzubauen, arbeiten mit Ambient-Flächen oder für Acid-Musik ungewöhnlich minimalistischen Motiven.

«Nun haben wir uns musikalisch ziemlich weiterentwickelt und das Produziert was uns Spass macht. Nämlich eine Fusion zwischen cluborientierter Musik die den Kick und Bass huldigt und zum anderen sphärische, fast ambient ähnliche Elemente beinhaltet.» Die drei Releases sollen bewusst mit der früheren Arbeitsweise, welche sehr oft von Samples und Edit ähnlicher Arbeitsweise geprägt war, brechen – im Vordergrund steht die Komposition, Aufbau und Gesamtkunstwerk.

Bark Scale - Nächtliches Waldgeflüster, romantisch geritzte Baumrinde

«Barkhausen», Opener von Bark Scale setzt dabei die Latte bereits hoch: Mit einer fast schwindelerregenden, orientalisch angehauchten Synthline, die sich immer tiefer und eindringlicher in die Gehörgänge eingräbt, wollen die Twerking Class Heroes an die Tatsache erinnern, dass hinter der scheinbar unvorhersehbaren Fluktuation von Klängen eine versteckte Struktur hervortritt: «Wo Chaos und Lärm sind, gibt es immer die Möglichkeit Ordnung und Harmonie zu finden.»

Sanfte Drums bilden bei «24 Critical Bands» das Intro für eine zunehmend bedrohliche, Suspense erzeugende Sound-Kulisse einer dystopischen Mensch-Maschinen-Welt, die als Soundtrack jedem Thriller gut zu stehen käme. «Perception» dagegen beginnt wie eine musikalische Verfolgungsjagd und endet in sehnsuchtsvoll zirpenden Liebesklängen, die den Hörer hemmungslos zum Schmachten bringen. Der letzte Track «Cochlea» erinnert wiederum an die Downbeat-Anfänge des Duos, und schmeichelt sich mit seiner aufreizenden Langsamkeit in Zeitlupe in die Gehörgänge.

Corallium - Vom Mensch gestörte Tiefsee-Idylle

Die zweite EP «Corallium» setzt sich zunächst mit einer gänzlich anderen Umgebung auseinander: Der Tiefsee. Weit unten auf dem Meeresgrund weben die Wächter des wässrigen Elixirs ihre magischen Geschichten, welche zunehmend von menschlichen Störklängen bedroht wird. So dringt in «Hedera» eine feindliche Aussenwelt ns Equilibrium der Meeresbewohner ein, lädt «Anthelia» zu einer Unterwasser-Reise mit ungewissem Ausgang ein, und hallen die Echos der Tiefe bei den dubbigen Flächen von «Canarya» um die Wette, bis sie vom dunklen Grollen fremder Welten übertönt und verschluckt werden.

Crevassa - Unheimlicher Abstieg in die Gletscherspalte

Der Dauerhaftigkeit des ewigen Eises werden in der dritten EP «Crevassa», rätoromanisch für Gletscherspalte, dunkle Atmosphärik, verzerrte Cut-Up-Samples und Breakbeats entgegengesetzt. Erinnern die Rufe und psychedelischen Verfremdungen bei «Zinal» noch an einen beschwerlichen Aufstieg, verliert man sich bei «Zmutt» mit den immer spärlicher werdenden Elementen in luftiger Höhe, schlängeln sich die Breaks von «Allalin» immer fordernder neben Acid-Bleeps in den Vordergrund, während einem langsam aber sicher unheimlich zumute wird. Gelingt der Abstieg? Bei «Gauli», einem gänzlich sparsamen Skelett von Track, scheint nichts mehr sicher.

Ausser, dass den Twerking Class Heroes mit dieser Trilogie auf jeden Fall der Sprung von Jamvirtuosen zu Klangkünstlern gelungen ist. Und man von ihnen definitiv in Zukunft noch viel hören wird, respektive: will.

Twerking Class Heroes - Crevassa, 2023
Twerking Class Heroes - Crevassa, 2023

Twerking Class Heroes - Bark Scale, Corallium, Crevassa
Die drei EPs sind im Laufe dieses Jahres im Label «Oro Negro» erschienen, Crevassa als Abschluss am 20.10.23. Zu hören auf Bandcamp. Unterstützt wurden zwei der drei EPs durch den RegioSoundCredit 2023/1.

Live:
Die Releasenight findet am 21.10.23 im Basso statt!

Twerking Class Heroes

Twerking Class Heroes (c) zvg 2022
Twerking Class Heroes (c) zvg 2022
18/03/2024

Beiträge
4 000 CHF | RegioSoundCredit Tonträger | 2023

About Tara Hill

Die Musikjournalistin Tara Hill aka Lila Hart hat ihr halbes Leben in der Welt elektronischer Tanzmusik verbracht: zunächst als Jungtalent auf Bühnen und Partys, dann als Magazin- und News-Pionierin für die Berichterstattung über «Black Music» von Techno bis Hip Hop, später als Zwischennutzerin, Gründerin von Initiative wie dem Bandspace Basel und Clubbetreiberin sowie Resident DJ an Kultorten wie Hinterhof, Lady Bar oder Nebel. Die Erforschung der Festivalkultur für ihren «Doktor Techno» führte sie später rund um die Welt, vom Berghain über die Superclubs Ibizas bis zum Burning Man Festival. Und so fühlt sich die Weltbürgerin in den Techno-Metropolen London oder Berlin mittlerweile genauso zuhause wie in ihrer Heimat Basel.