Dandara - &Chakib: Tod und Wiedergeburt

Reviews
Dandara © Samuel Bramley, 2024
Dandara © Samuel Bramley, 2024

Der Tod steht am Anfang des Albums «&Chakib», dessen bewegende Entstehungsgeschichte wohl einzigartig sein und den Basler Musiker, DJ und Produzenten übers Gros der hiesigen Elektronikmusiker heben dürfte.

Album Review

Einst bekannt geworden als Teil des Basler LOKD-Kollektiv, hatte Dominik Traub alias Dominik Daks Karriere zeitweise Shooting-Star-Charakter. Nur kurz nach dessen Gründung spielten die Basler Jungs weltweit in einschlägigen Clubs, wurden an grosse Festivals gebucht. Für viele startete er erst mit seinem Zweitprojekt «Dandara» richtig durch. Mit dem Ethno House, langsameren, hypnotischeren Grooves und musikalischen Einflüssen aus Südamerika, Afrika und Asien etablierte sich Dominik Traub zunehmend bei einem anderen, globaleren Publikum: Man konnte es ironisch «woke» nennen – oder aber vom Hippie-Spirit beseelt.

Das Projekt zündete für viele und machte den Basler unverwechselbar – vom Sonnenaufgang in Südafrika bis hin zum Yoga Rave in Grosstadt-Atmosphäre, von Buenos Aires bis Berlin, fiel es Dandara leicht, das Publikum, das sich nach luftigeren Sphären sehnte, zu bezaubern. Dann wurde es wiederum still um den vermeintlichen Erfolgsgaranten.

Album mit tiefschürfender Geschichte

Jetzt kehrt Dandara mit «&Chakib» zurück – dessen einzigartige Entstehungsgeschichte das Album zu einem tiefschürfenden Erlebnis macht und dessen Erzeuger endgültig etablieren dürfte. Als Traub Chakib Bouzidi an einem hiesigen Festival kennenlernte, sprang von der algerischen Musikikone nicht nur eine Art zündender Funke über, sondern bekehrte das Basler Kollektiv richtiggehend. Die ersten Jamsessions lösten eine fast sakrale, erhabene Stimmung aus: Dandara erinnert sich daran, wie Chakib bei ihnen im Studio mit dem für seine Heimat typischen Improvisationsgesang begann und die Session mittels begleitenden Trommeln «fast wie eine spirituelle Seance» anmutete.

Begeistert von der Kollaboration, beschloss Traub ein ganzes Album gemeinsam mit dem Sänger zu produzieren, der daraufhin in Algiers' besten Musikstudios Zeit buchte, um unterstützt von der ganzen dortigen Musikszene die Chance, mit dem Schweizer Aufsteiger zusammenzuarbeiten wahrzunehmen. Als Traub nach einer intensiven, ersten Woche Studiosessions zwischen Basel und Algier wieder nach Algerien fliegen wollte, folgte das böse Erwachen. Nachdem ihm Chakib eine Reihe kurzer Skizzen geschickt hatte, die Dandara zu Loops verarbeitete, brach der Kontakt ab. Warum, erklärt der Musiker im Intro des Albums gleich selbst: Er war an galoppierendem Krebs erkrankt. Wenige Wochen später erhielt Dandara von dessen Familie die bestürzende Nachricht, Chakib Bouzidi sei überraschend verstorben.

Die Zukunft des Projekts lag daraufhin in den Sternen – doch nachdem die Phase der Trauer den Musiker «bisher wohl geprägt hat wie nichts zuvor», beschloss Dandara, das Album alleine fertigzustellen.

Den Maestro selbst sprechen lassen

Ohne die allgegenwärtige Frage nach kultureller Appropriation ausser Acht zu lassen, hat er es als einer der ersten geschafft, einen Roots Musiker aus einem für uns exotisch anmutenden Land zu uns sprechen zu lassen und damit musikalische Brücken zu bauen, die für viele aus der vermeintlich «globalen» Technoszene undenkbar wären.

Der Grund: Dandara lässt den verstorben Maestro in erster Linie selbst sprechen, und hat ihm einen beeindruckenden, berauschenden, fliessend verwobenen und so liebe- wie respektvollen Klangteppich gewidmet, der dank Chakibs Gesang, seiner Gitarrenkünste und Live-Instrumentierung wie Balafon, Goumbri, Ngoni, Keys, Hörnern und typisch westafrikanischen Trommel-Elementen als lebendiges, lebensfrohes, widerständiges und welterfahrenes Produkt weit über die üblichen, teils etwas gar kitschigen orientalischen Anleihen der elektronischen Musikszene hinausgeht.

Hommage an Ikone und kreative Wiedergeburt

Damit ist das Wagnis eines No-Club-Albums mit den Mitteln der Clubmusik dank der Mithilfe von Musikern aus dem Umfeld des Multiinstrumentalisten und dem Basler, der zwischenzeitlich aufgrund der zweieinhalbjährigen Produktionsphase wieder als Lehrer zu arbeiten begann, mehr als geglückt.

Der bisher bei deutschen Labels wie Laut und Luise gesignte Musiker musste allerdings länger suchen, bis er mit seinem Projekt beim New Yorker Label «Wonderwheel Recordings» unterkam. Hier nun könnte die Erfolgsstory ganz andere Dimensionen annehmen: denn mit «&Chakib» ist Dandara sein bisher bestimmt grösster Wurf gelungen.

Als musikalisches Mosaik, kollektive Hommage an die letzten Tage einer Ikone ist das Tributalbum «&Chakib» gleichzeitig auch zum Zeugnis der kreativen Wiedergeburt dessen Produzenten geworden.

Dandara - &Chakib, 2024
Dandara - &Chakib, 2024

Dandara - &Chakib

Die Platte ist am 22.3.24 bei Wonderwheel Recordings erschienen. Zu kaufen gibt es die Platte im Shop auf Bandcamp. Die Platte wurde unterstützt durch den RegioSoundCredit 2021/3.

Vinyl Verlosung

Die Verlosung ist abgeschlossen

 

Dandara

Dandara © Samuel Bramley, 2024
Dandara © Samuel Bramley, 2024
25/03/2024

Beiträge
7 900 CHF | RegioSoundCredit Tonträger | 2021

About Tara Hill

Die Musikjournalistin Tara Hill aka Lila Hart hat ihr halbes Leben in der Welt elektronischer Tanzmusik verbracht: zunächst als Jungtalent auf Bühnen und Partys, dann als Magazin- und News-Pionierin für die Berichterstattung über «Black Music» von Techno bis Hip Hop, später als Zwischennutzerin, Gründerin von Initiative wie dem Bandspace Basel und Clubbetreiberin sowie Resident DJ an Kultorten wie Hinterhof, Lady Bar oder Nebel. Die Erforschung der Festivalkultur für ihren «Doktor Techno» führte sie später rund um die Welt, vom Berghain über die Superclubs Ibizas bis zum Burning Man Festival. Und so fühlt sich die Weltbürgerin in den Techno-Metropolen London oder Berlin mittlerweile genauso zuhause wie in ihrer Heimat Basel.