Als die Musik verstummte und die Gagen versiegten

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Wie leben Musiker*innen in der Coronavirus-Krise? Seit dem 16. März 2020 sind Live-Konzerte vor Publikum in der Schweiz verboten. Am 27. Mai wird der Bundesrat weitere Lockerungen bekanntgeben. Aber welche? – Drei Basler Musiker*innen geben dem Basler Künstler Marcel Scheible für den kurzen Dokfilm «Was nun? Was tun?» Einblicke in ihre Gedankenwelt während des Lockdowns «und nehmen uns mit auf einen Balkon, einen Hinterhof und in eine Gastroküche.» Film ab!

Projektbeiträge

Seit dem 16. März ist die Live-Musik verstummt. Die Coronavirus-Krise ist zwar kein Science-Fiction-Drama von globalem Ausmass, aber dennoch eine globale Krise, die auch für hiesige Musikschaffende eine ungeahnte und harte Zäsur bedeutet – und noch immer bedeutet. Seit über drei Monaten ist für viele semi- und professionell arbeitende Musiker*innen eine der wichtigsten Einnahmenquellen versiegt: die Gagen für Live-Konzerte im In- und Ausland. Die Kasse leert sich, Taggelder für Selbständige und Ausfallentschädigungen oder gar Nothilfegelder lassen noch auf sich warten.

«Was nun? Was tun?» Benjamin Brodbeck © Marcel Scheible 2020
«Was nun? Was tun?» Benjamin Brodbeck © Marcel Scheible 2020

Roli Frei, Jasmin Albash und Benjamin Brodbeck trotzen der Krise

Musiker*innen leben auch ohne Corona sehr oft sehr bescheiden, Reserven haben sie höchstens noch auf dem Harddisc ihres Computers. Und die Zukunft ist ungewiss, Konzerte zu verschieben oder neu zu planen ist sehr schwierig, da niemand genau weiss, wann es wie weitergeht – weder auf Seiten der Musiker*innen noch auf Seiten der Veranstalter*innen.

Doch um bemühte Klischees geht es in diesem Kurzfilm made in Basel nicht. Sondern um präzise Realitäten und Überlebensstrategien von Kreativen, die in der rasenden Berichterstattung der Medien zur Corona-Krise oft vergessen gehen.

Der Basler Künstler und Filmer Marcel Scheible hat einen kurzen Dokfilm realisiert, der wie so viele Do-It-Yourself-Initiativen aus purer Not entstanden ist. Scheible porträtiert in gerade mal 17:30 Minuten drei Basler Musiker*innen, die sich hauptberuflich seit Jahren dem Musikmachen verschrieben haben.

Wie sieht ihr Alltags seit dem 16. März aus? Wie kommen sie über die Runden? Wie nutzen sie den kreativen Lockdown? Welche Hoffnungen haben sie? Marcel Scheible hält ihre Antworten in drei kurzen Porträts fest. Das Resultat: ernüchternd, aber nicht verzweifelt.
 

  • Roli Frei hat Anfang 2020 noch eine lose Folge an Konzerten und Releases zu seinem 50-jährigen Bühnenjubiläum abgeschlossen. Konzerte darf auch der Vollblutmusiker keine mehr geben – jedenfalls nicht vor zahlendem Publikum direkt vor der Bühne.
     
  • Jasmin Albash steckt mitten in den Vorbereitungen für ihr neues, auf Oktober geplantes Album als The RK und musste auch mit ihrem Ramallah-Basel-Projekt Kallemi namhafte Auftritte an internationalen Festivals sausen lassen. Auch ihr Gesangsstundeneinkommen fiel mehrheitlich weg.
     
  • Benjamin Brodbeck ist als Solomusiker und Drummer / Perkussionist der Bands Jaro Milko & The Cubalkanics, Prekmurski Kavbojci oder Anemochore ebenfalls von diversen abgesagten Konzerten betroffen. Glück im Unglück hat er mit seinem Einmannunternehmen Ingwer Manufaktur.

(Alle Links zu den Musiker*innen und Bands ganz unten in den Band-Apps.)

«Was nun? Was tun?» Jasmin Albash © Marcel Scheible 2020
«Was nun? Was tun?» Jasmin Albash © Marcel Scheible 2020

Die plötzliche Toleranz in den Lockdown-Hinterhöfen

Wie so oft in dieser verwirrenden Coronavirus-Krise entstand Marcel Scheibles Film eigentlich durch Zufall. Der Künstler Scheible ist Ateliernachbar des Musikers Frei im Norden Basels. Eines Abends kreuzten sich ihre Wege im Hof der Ateliergenossenschaft. Als Frei erwähnte, er spiele in einem Hinterhof in der Nähe demnächst ein Corona-Konzert, nahm Scheible die Kamera mit – und hielt den Auftritt fest.

Was Scheible beeindruckt, ist die Toleranz der Bewohner*innen gebenüber allen möglichen Live-Musik-Events während der Corona-Zeit, nicht selten in Innen-und Hinterhöfen dicht bewohnter Quartiere und nicht selten ziemlich laut, was in anderen Zeiten schnell zu Anrufen von verärgerten Bewohner*innen bei der Polizei geführt hätte.

Für sein kurzes Dokfilmprojekt vermittelte ihm, nachdem Roli Freis Konzert im Kasten war, der Basler Musiker Jaro Milko als Protagonist*innen Benjamin Brodbeck und Jasmin Albash. Dann ging es ohne langen Vorlauf und langwierige Finanzierungsgesuche los.

Mehr davon!
Die knapp 18 Minuten überzeugen durch eine klare und reduzierte Bildsprache, die den Geschichten der drei Protagonist*innen noch mehr Präsenz verleiht.

Die Viertelstunde plus Zugabe sind aber leider auch schnell vorbei. Nicht wenige wünschen sich wohl noch mehr Einblicke in die Alltage der Musik-, Kreativ- und Kulturschaffenden während dieser Krise, die an der Basis der Bevölkerung offenbar auch eine Art von gelebter und kreativer Solidarität geweckt hat, die wir so nicht erwarten konnten.

Der Schlusssatz in diesem intimen Dokfilm, der am Ende von Roli Freis Hinterhofkonzert zu Online-Spenden  aufrief: «Künstler*innen haben es nicht einfach in dieser Zeit.» Stimmt. Aber sie geben auch nicht so leicht auf.

Hier gehts zum Dokfilm «Was nun? Was tun?»

Marcel Scheible, der seismografische Beobachter

«Marcel Scheible ist ein seismografischer Beobachter», schrieb die Basler Kunsthistorikerin Isabel Zürcher im Schweizer Kunstzeitschrift «Kunstbulletin». Der Basler Künstler beschäftigt sich in seinen Arbeiten (Zeichnung, Rauminstallation, Fotografie, Film, digitale Kunst, Malerei) vor allem mit «Übergängen und Zuständen von Objekten und Situationen», und schafft damit «Bilder die versuchen, einen Moment einzufangen, der eigentlich nur schwer fassbar ist», wie eine andere Kunstkritikerin bemerkte.

Website
Facebook-Seite des Films

Den Dokfilm «Was nun? Was tun?» hat Scheible praktisch ohne Budget in kurzer Zeit realisiert. Der RFV Basel hat den Film mit einem Projekt-Beitrag von 500 CHF unterstützt (vorab Gebühren für die Urheberrechtsentschädigung der Musik).