Anna Erhard – Short Cut: Aufregend leicht

Reviews

Von Basel nach Berlin. Neustart nach vielen, erfolgreichen Jahren mit ihrer Band Serafyn. Anna Erhard legt ihr Solo-Debütalbum mit neuem Feeling und neuem Produzenten vor: Pola Roy von Wir Sind Helden. Aufgenommen wurde Short Cut in Berlin-Kreuzberg. Unsere Berlin-Korrespondentin Marie Suhm ist beeindruckt von den neuen Songs.

Album Review

Vielleicht oder bestimmt kommt sie dem einen oder der anderen bekannt vor und irgendwo schlummert eine Erinnerung im Ohr: Anna Erhards Stimme war prägend für die Basler Pop-Folk-Band Serafyn, die 2015 mit ihrer EP Quantum Leap bekannt wurde, auch über die Grenzen der Schweiz hinaus. Serafyn, gibt es (leider) nicht mehr.

Anna Erhard dagegen schon. Ihre neue Heimat: Indie-Pop. Aber nicht nur die musikalische Heimat, auch der Standort hat sich geändert. Die Musikerin lebt jetzt in Berlin, der Stadt der Verwandlung, der Facetten und Möglichkeiten. Aber anstatt im Meer der Talente unterzugehen, blüht Erhard in Berlin auf – auch am «tip-Pop-Orakel» ist das nicht klanglos vorbei gegangen und die Baslerin wird als vielversprechendste Newcomer*in der Berliner Popkultur 2021 gehandelt.

Ihr Debütalbum Short Cut überzeugt mit aufregenden, leichten Popsongs, die ein bisschen an Taylor Swift erinnern, aber die aufregende Stimmung Berliner Nächte in sich tragen, die viel zu schnell vorbeigehen.

Anna Erhard © Greta Attinger 2021
Anna Erhard © Greta Attinger 2021

So schön kann Pragmatismus klingen

In «Tickling Weed» wird die Sängerin von lockerem Schlagzeug und Gitarre begleitet. Später kommt ein zartes Mundharmonikasolo hinzu. Ein Detail, das überrascht und dem Song seinen eigenen Charakter verleiht. Der Refrain hinterlässt schnell Spuren: «It takes, what it takes/long nights and long days». So schön kann Pragmatismus klingen.

«Short Cut», der Titelsong, ist flotter. Erhard singt «no fear, no fear/ all fun, all fun», im Hintergrund das Schlagzeug und Gitarre. So schlicht und doch so spannungsgeladen, dass die Lust gross ist, ins Auto zu hüpfen, die Musik laut aufzudrehen und einfach draufloszufahren: «Magic, it’s magic, as far as I see», singt Erhard und kann Gedanken lesen.

Magic und ein bisschen merkwürdig sind auch die dazugehörigen Musikvideos. In «Short Cut» führt eine unheimliche Greisin (vermutlich Erhard selbst, die eine gruselige Maske trägt), eine Schildkröte spazieren, um dann später mit einer Gruppe von Knirpsen in Inline-Skates, Bobby-Car und Radel die Alm runter zu düsen. «Don’t ask, don’t need» – die Lyrics sind Programm.

In jedem Fall können es die Aufnahmen mit den Songs aufnehmen, sie sind ungewöhnlich, haben ihren eigenen Sinn, sind von der  Stimmung, vom Vibe her vielleicht in der Nähe von Feist zu Hause. (RFV-Video of the week: «Send Me Your Best».)

Anna Erhard © Greta Attinger 2021
Anna Erhard © Greta Attinger 2021

Berliner Winter sind lang

«Cut it out» erzählt vom Loslassen und neu Anfangen, ist etwas melancholischer, und trotzdem nicht schwermütig. Auch hier überwiegt die positive klangstarke Stimmung. Passend dazu begleitet das Musikvideo Anna Erhard, wie sie in einer Silvesternacht durch Berlin stromert, von Begegnung zu Begegnung, umgeben vom Funkenregen der Raketen. «Trick Myself» beschreibt den Umzug nach Berlin: «I’m gonna move myself to a new city […] I feel I need to dissapear». Dieser Song ist wohl schwermütig, doch hört man auch ein Augenzwinkern, als das Klischee der Berliner Winter angesprochen wird: «I’m gonna freeze my ass during Berlin winter».

Selbst wenn es um Trennung geht wie in «This Is It», sind die Nuancen zwischen Melancholie und Unbeschwertheit so fein, dass man ganz genau hinhören- und fühlen muss.

Genau das ist es: Short Cut fängt die Stimmung vom Verlassen und Ankommen, der Grossstadt, der Leichtigkeit und der zarten Melancholie ein.

Anna Erhard – Short Cut (Cover)
Anna Erhard – Short Cut (Cover)

Anna Erhard – Short Cut

(Radicalis Music Basel) ist am 26. Februar 2021 als LP und digital erschienen und überall anzutreffen.

Anna Erhard hat 2018 für eine Berlin-Reise das kleine Reisestipendium des RegioSoundCredit des RFV Basel gewonnen.

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