Pink Pedrazzi – Carry On EP: Melancholie und die Liebe

Reviews

Diese EP Carry On hat der Basler Americana-Soul-Meister nur auf Vinyl veröffentlicht. Sie bildet mit der EP The Island (2020) zusammen eine Art Album in zwei Teilen. Und «eine runde Sache», wie unser Kritiker Pascal Cames meint. Ihm sind ob des Sounds der Platte ganz eigene Assoziationen und Bilder in den Kopf geschossen, die eine lange Spanne der Rockmusik seit den 1970ern bis heute betreffen. Eine Spanne, die Pink Pedrazzi in seiner Musik und seinen Texten mit verkörpert.

Album Review / RegioSoundCredit

The man in black / Back in black

Die Halle ist gross und grau und sie wird von alten Ölfunzeln und Lagerfeuern beleuchtet, an denen junge und alte Leute hocken und Gitarre spielen. Im Flackerlicht singen sie zur Westerngitarre. Die grauen Stapel sind unschwer als aufgetürmte Särge zu erkennen. Leere Särge. Mit Kreide hat jemand Bob, Bill oder Bruce draufgeschrieben. Auch viele andere Namen sind zu lesen, meistens englische.

Wir sind beim Sargmacher des Rock’n’Roll. Das Genre wird gerade abgewickelt. Abgewickelt? Warum sonst wäre das Interesse so groß an verstorbenen Schlagzeugern oder an durchschnittlichen Alben von 1970, die jetzt noch einmal neu aufgelegt werden? Was vorbei ist, ist vorbei. Wehmut ist angebracht.

Ein schwarz gekleideter Mann mit glühenden Augen geht durch die Gasse und zieht seinen Zylinder zum angedeuteten Gruss in Richtung Halle. Er macht einen Luftsprung und singt «The party's going on». Folgen wir ihm. Party … Wie schrieb es Marilyn Monroe als Zusatz ihrer To do-Liste von 1955: «Sich amüsieren wann immer möglich – mir wird es schlecht genug gehen.»

Pink Pedrazzi – Carry On (Cover)
Pink Pedrazzi – Carry On (Cover)

Basels grösste One-Man-Show

The «man in black», so wie er vom Cover der EP blickt, ist Basels grösste One-Man-Show in Sachen good old Rock music, wie sie in Amerika in den 70er-Jahren zu Diamanten geschliffen wurde. Pink Pedrazzi spielt seit Jahrzehnten in Bands, liess sich aber 35 Jahre (!) Zeit für sein Solo-Debüt A Calico Collection von 2013.

Wie alle Musiker und Musikerinnen hat auch ihn die Pandemie erwischt. Eigentlich wollte er eine grosse Platte machen, aber es wurden stattdessen zwei kleine. Die EP Carry On gibt es auch nur auf Vinyl. Auch ein Statement für «die gute alte Zeit» als das Album ein in jeder Hinsicht haptisches Kunstwerk war. (Und manchmal ein Meisterwerk.) Carry On ist meist als Trio eingespielt, neben Pink Pedrazzi (voc, git, ukulele) sind dies Peter Wagner am Piano und Michael Chylewski am Kontrabass.

Um Carrry On zu verstehen, muss man seine erste Lockdown EP The Island anschauen bzw. anhören, denn die beiden Platten gehören zusammen. Bei The Island schwappen Erinnerungen an Rockmusik aus dem klassischen Zeitalter der 70er-Jahre ins Bewusstsein, wie Wellen an den Strand. Verheissungen von grenzenloser Freiheit, Wärme, Sonnenstunden zuhauf und ein Leben in T-Shirts und Shorts könnten zu den Songs auf der EP The Island gut passen. Kalifornien eben.

Eine Hymne auf das Leben
Grenzenlos ist dieser Song aber nicht, denn dass das Leben auch seine Grenzen hat, weiss jeder Insulaner. Und jeder, der in Zeiten der Pandemie mit offenen Augen durch die Welt geht. Reden wir nicht von den Leuten im Homeoffice mit grossem Garten, Pool und toller Nachbarschaft… Reden wir von Musikern, die Austausch brauchen, die nach echten Erlebnissen gieren und nicht nur auf Kanäle scharf sind, die Soundfiles in Echtzeit irgendwohin katapultieren.

Kurz und gut: Was gibt es Gigantischeres als zusammen zu hocken, zwei Gitarren, zwei Stimmen, eventuell noch eine Band und einfach spielen? Yeah! Irgendwas Gutes kommt immer raus – und wenn es nur dieser verdammt einmalige Moment war, in dem Menschen ganz und gar zusammen sind. Eine Hymne auf das Leben.

Carry On ist ein ganz anderes (Mini-)Album geworden. Zunächst hier gibt es keine Begleitsängerinnen, die Stimmung ist ernster, melancholischer. Das Coverfoto lässt nichts anderes erwarten. Der erste Song heisst wie das Album und wer an CSN&Y’s hymnische Kreischorgie «Carry On» denkt, liegt grottenfalsch. Hier treibt das Piano nach vorne und Pink Pedrazzi singt mit energischem Unterton «better keep on running, the world is turning fast».

Pink Pedrazzi – Carry On (Back Cover)
Pink Pedrazzi – Carry On (Back Cover)

Die Welt dreht sich schneller und schneller

Gleich die ersten Takte lassen erkennen, was Sache ist. Freut er sich oder ist die Last zu schwer? Und kann er mit dem Tempo mithalten? Der Song bleibt in seinem Rhythmus provokant, aber einholen kann er die sich schneller drehende Welt nicht. Pink lässt den Song leise ausklingen. Mit diesem klagenden Refrain könnte er auch in Sisyphus‘ Spotify-Playlist sein.

Der zweite Song «Forever In Our Hearts» ist noch eine Spur mehr Schmerz. Das hat er drauf. Das zweite Album lässt er mit Gitarre beginnen, aber dann biegt der Song mit Piano-Begleitung in die «Stratford Avenue» ein, eine «cold and windy street», die mit aller Liebe zur Melancholie abgeschritten wird und melancholisch die Liebe beschreibt. Der instrumentale Part lässt dem Hörer genug Raum für seine eigenen Strassen. Auch hier eine Verbeugung vor dem amerikanischen Singer-Songwriter am Piano.

Am Schluss dann endlich die Party
Und dann: Endlich! «Party On». Die Ukulele springt fröhlich und Pink gibt den smoothen Erzähler, der von einer Party berichtet (und uns heiss macht!), dann wieder ein bisschen Geklimper einschiebt, bevor er einen Zahn zulegt. There’s a party going on.

Mit einem «Hostages» brilliert er zum Schluss mit einem Schieber à la Randy Newman, nur, dass die Handlung wohl in New Orleans spielen muss. Hier ist er verspielt, eine Trompete gibt eine weitere Klangfarbe, dazu ein paar urbane Hintergrundgeräusche und Pink gibt den Conférencier. «Dib-dab-du …» Da schnurrt die Jazzkatze zum Klavier. Schön, dass es so heiter endet.

Was man betonen muss: Pink Pedrazzis Carry On gibt es nur auf Vinyl. Wer sie will, sollte noch die Island dazu packen. Dann ist es in jeder Hinsicht eine runde Sache.

Pink Pedrazzi – Carry On EP

(Twang Enterprises / Pink Pedrazzi) ist am 22.6.2021 als Vinyl-10inch mit einem Beitrag des RegioSoundCredit des RFV Basel erschienen und über die Website des Musikers erhältlich (siehe Band-App unten) sowie bei Bider&Tanner Basel.

Verlosung Vinyl-10inch
Teilnehmen: E-Mail an den RFV Basel senden, es wird keine Korrespondenz geführt, Versand nur an Postadresse im Inland.

Pink Pedrazzi live
22.10.2021  D-Freiburg i.Br., Wodan Halle (mit The Big Easy)
28.10.2021 CH–Basel, Atlantis (Solo)
12.11.2021 CH-Olten, Galicia Bar (Solo, 18 Uhr!)
09.12.2021 CH-Wald ZH, Elbar (Solo)
Weitere aktuelle Daten auf der Website des Musikers.