The Night Is Still Young: Zurück von den Abgründen

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2018 befand sich Marco Naef auf der Suche nach dem Glück, doch dieses schien ihm vergangenes Jahr dann zwischen den Fingern zu zerrinnen. Der Basler Musiker hatte private Probleme und ein Burn-out, was ihn – wie er in der Promotion zu seinem neuen Album Home schreibt – vorübergehend psychiatrische Hilfe in Anspruch nehmen liess. Auf seinem vierten Album singt er von seinen Erfahrungen und der Überzeugung, dass die Liebe den Weg schon weisen wird.

Album Review / RegioSoundCredit

«I just want to come home again», singt Marco Naef alias The Night Is Still Young (TNISY) zum Auftakt seiner vierten Platte Home – und die einsame akustische Gitarre und der sehnsüchtige Gesang verdeutlichen: Hier ist etwas in die Brüche gegangen.

Wozu der frühere Bassist von Navel auch offen steht. Nach einer Trennung hatte er 2020 mit persönlichen Problemen zu kämpfen, die in Kombination mit der Pandemie erst zu seiner, wie er sagt, Obdachlosigkeit und dann zu einem Aufenthalt in der Psychiatrischen Klinik in Basel führten. Themen, die manch eine*r wohl lieber unter den Teppich kehren würde. Nicht jedoch Marco Naef: «Ich bin ein sehr direkter Mensch, der Sachen nicht verschweigt, bloss weil diese unangenehm sind. Mit anderen Worten: Ich gehe gerne dahin, wo es wehtut, auch bei mir selbst», erzählt er.

Klavier- statt Ping-Pong-Spielen

Mit seinem Debüt King Of The Bees (2018) schien TNISY noch auf der Suche nach dem Glück, doch jetzt ist er – zumindest vorübergehend – auf dem harten Boden der Realität gelandet. Und damit beschäftigt, sich wieder aufzurappeln. Teil dieses Prozess' ist auch seine Zeit in der Psychiatrischen Klinik, wo Naef im Gemeinschaftraum alsbald ein nicht gestimmtes Klavier entdeckte. «Das war während dem ersten Lockdown. Auf dem Klinikgelände durfte man keine Besuche empfangen und in der Gruppe gab es ausser einem Ping-Pong-Tisch keinerlei Beschäftigungsmöglichkeiten», erinnert er sich.

Da kam das Klavier wie gerufen. «Auf diesem habe ich halt Songs geschrieben. Als Therapie sozusagen. Jeden Tag drei bis sechs Stunden.» Zuerst sei das unglaublich schwierig gewesen. «Denn ich wusste nicht mal mehr, ob das überhaupt noch mit mir weitergeht», räumt der Musiker und Songwriter ein.

The Night Is Still Young © 2021
The Night Is Still Young © 2021

Die Enttäuschung als Erlösung

Doch nach und nach begannen sich die dunklen Wolken etwas zu lichten und Naef machte sich daran, seine Songs gemeinsam mit Matthias Gusset am Piano und Emmi Lichtenhahn am Bass einzuspielen. «Inspiriert dazu haben mich nicht zuletzt die Paper-Sessions der US-amerikanischen Band Lambchop», erklärt Naef. Diese lassen sich auf YouTube nachverfolgen und zeigen Sänger Kurt Wagner in einer Trioformation, die unaufgeregt ihre Songs für sich selbst sprechen lassen. Das gilt auch für das Album Home von TNISY, das auf demselben Videoportal in voller Länge als Live-Version zu sehen ist (siehe unten).

Fällt es ihm mit der Veröffentlichung des Albums nicht schwer, sich dadurch nochmals auf diese herausforderungsreiche Lebensphase einlassen zu müssen? «Es fällt mir sogar leicht, da ich mich so stark fühle wie nie zuvor in meinem Leben», entgegnet der 35-Jährige. Dies, zumal er immer wieder mal gerne in seine Abgründe abtauche, um sich selbst in die Augen zu schauen. «Höre oder spiele ich die Lieder, werde ich natürlich zurückgeholt in diese Zeit», so Naef. «Aber das macht mich weder traurig noch wehmütig. Im Gegenteil, denn im Grunde genommen ist eine Enttäuschung die pure Erlösung.»

TNISY live Smuk Basel, November 2020 © TNISY
TNISY live Smuk Basel, November 2020 © TNISY

Keine einfache Kost – aber eine unverblümte

Was natürlich nichts an der Tatsache ändert, dass die acht sparsam arrangierten zunächst auf eine Reise in Richtung der Düsterheit mitnehmen: Während der Titeltrack, «Home», sich nach Verlorengegangenen sehnt und die Einsamkeit spüren lässt, wirft «Resilient» die Frage auf: «Why does everything always go to waste?» und «Shadowtime» erzählt von der Dunkelheit, in welcher sich der Sänger zurückgelassen fühlte.

Keine einfache Kost, aber eine zugleich ehrliche und unverblümte. Naefs Stimme ist anzuhören, dass der Mann sich die Seele aus dem Leib singt. Er gibt alles und legt seine Gefühle bar auf den Tisch. Das imponiert, zumal sich die zwischen Folk und Pop mäandernden Lieder einfühlsam und nie aufdringlich instrumentiert präsentieren. Weil sich die Songs den von ihnen benötigen Raum nehmen, hat man auch Zeit, das Ganze auf sich wirken zu lassen – und wie. Inklusive der Einflüsse, zu denen nebst Lambchop auch Nick Cave und Ryan Adams zählen.

«Es lohnt sich, nicht aufzugeben»

Nach Plattenmitte beginnt sich die Düsterheit aufzuhellen. Was mit zum Ausdruck bringen soll, dass das Werk eigentlich eine Entwicklungsgeschichte zum Nachhören ist. Spätestens mit dem Daniel-Johnston-Cover «True Love Will Find You In The End» wird dann klar, dass die Story vielleicht nicht per se mit einem Happy End, aber doch positiv ausgeht. Oder wie Marco Naef sagt: «Mir geht es sehr gut. Habe wieder ein schönes Zuhause gefunden und fühle mich soweit sicher und gut aufgehoben. Was diese Geschichte aus dem 2020 betrifft, habe ich für mich definitiv abgeschlossen, sobald das Album veröffentlicht wird.»

Was ja mittlerweile der Fall ist. «Ich bin froh, dieses Zeitmanifest für mich abgelegt und einmal mehr erkannt zu haben, dass es sich lohnt, nicht aufzugeben.» Dem gibt es nichts anzufügen, ausser vielleicht: Es lohnt sich auch, das neue Album von The Night Is Still Young anzuhören – sehr. Zumal dessen Platte voller ergreifender und zärtlicher Momente ist.

The Night Is Still Young – Home (Cover)
The Night Is Still Young – Home (Cover)

The Night Is Still Young – Home

(Eigenverlag) ist am 23. April 2021 digital mit einem Beitrag des RegioSoundCredit des RFV Basel erschienen und überall hier erhältlich, oder im eigenen Webshop.

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