ELFRID THE THIRD & IVAN EYES - A Case of Paranoia: Skizze der Stimmungslage einer Generation

Reviews
ELFRID THE THIRD & IVAN EYES © Amelie Amei Kahn-Ackermann
ELFRID THE THIRD & IVAN EYES © Amelie Amei Kahn-Ackermann

Aus der Zusammenarbeit einer* Dichter_in und eines Audio Designers ist ein sehr persönliches Werk entstanden. Vielseitigster Einsatz der Stimme und messerscharfe Klänge machen das Album zu einem Werk, das den Zeitgeist einer jüngeren Generation trifft

Album Review

«Elfrid The Third & Ivan Eyes» ist das jüngste audiovisuelle Projekt der in Basel und Berlin lebenden Norwin Tharayil und Jascha Ivan Dormann. Tharayil hat deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft und Literarisches Schreiben studiert, ist auch Performancekünstler_in und wirkte in Zusammenarbeit mit der Kaserne Basel bei einer Tanzperformance mit dem Titel «zwei zu zwei» mit.

Jascha Dormann ist ausgebildeter Audio Designer. Als Klangszenograf und Komponist leitete er beispielsweise die Klanggestaltung der Holocaust Galleries in London und der Ausstellung «Sounds of Silence» im Museum für Kommunikation Bern. Schon vor seiner Ausbildung in Audio Design war er als Musiker tätig. Als Teil der Electropop-Band laFayette spielte er im Raum Basel und in der Schweiz etliche Live-Konzerte.

Zusammen haben Norwin Tharayil und Jascha Ivan Dormann das Hörstück «Are You Feeling Better Now? – A guided meditation» entwickelt, welches 2020 am Prosanova Literaturfestival gezeigt wurde. Ziemlich genau drei Jahre später, nämlich am 12. Mai 2023, haben sie ihr gemeinsames Debütalbum «A Case Of Paranoia» veröffentlicht.

ELFRID THE THIRD & IVAN EYES - Fences

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A Case Of Paranoia

Die vielleicht wichtigste Erkenntnis über dieses Album ist folgende: Es lässt sich stilistisch nicht einordnen. Das geht nicht und das will es vor allem auch nicht. Viel mehr skizziert das Album eine Stimmungslage. Vielleicht sogar die einer ganzen Generation. «A Case Of Paranoia» von «Elfrid The Third & Ivan Eyes» bildet einen Abschnitt unseres Anthropozäns ab, welches geprägt ist von Zukunftsängsten, gesellschaftlicher Zerrüttung und Eskapismus. Die Reaktion auf diese unschönen Einflüsse darf man auf dem Album aber als durchaus positiv interpretieren. Nämlich als hinterfragend, melancholisch und dennoch höchst (selbst-)bewusst. Die Platte klingt aber manchmal auch extrem, anspruchsvoll, auf eklektische Weise einzigartig und dann plötzlich wieder erstaunlich angepasst.

Auf diesem Debüt bietet Elfrid The Third ihre* Texte auf unterschiedlichste Arten dar und setzt die Stimme unglaublich vielseitig ein. Von männlich tief wechselt sie* schlagartig ins Falsett. Mal werden die Lyrics Rap-mässig gesprochen, dann wieder gesungen. Mal mit Autotune, mal ohne.
Elfrid The Third’s Texte werden regelrecht ausgerüstet und gewappnet mit elektronischen Frequenzkanonen. Die Rolle des Waffenschmieds ist ihrem* Partner Ivan Eyes zuzuschreiben. Der Audio Designer macht nicht einfach Beats und Sounds, sondern schmiedet messerscharfe Klänge, so filigran verziert wie das Katana eines japanischen Meisters, welches alles mühelos zerschneidet. Eine Sekunde später werden diese präzis platzierten und feinen Schnitte aber wieder mit brachialen Subbässen dem Erdboden gleichmacht.

Track by Track

Das Album wird mit «Closing Chorus» eröffnet und stellt gleich klar mit welchen Widersprüchen und Gegensätzen wir in den kommenden dreiunddreissig Minuten konfrontiert sein werden: Ivan Eyes lullt uns mit lieblichem Glockenspiel ein. Elfrid The Third stellt uns mit erotisch tiefer Stimme philosophische Fragen. Just in dem Moment, wo die geführte Meditation anfängt zu wirken kracht ein Hardstyle Technobeat in die Session. Die Meditation geht zwar weiter, allerdings gefühlt in einem Instareel mit dem Hashtag Berghain.
In «Low Lower Son» fällt der Beat wieder auf Trip Hop-Tempo zurück. Nun klingt die Platte wie wenn der Rapper Earl Sweatshirt mit einer schwedischen Pop-Opernsängerin zusammengearbeitet und die Berliner Techno Supergroup Moderat die Synthesizerspuren beigesteuert hätten.  Ähnlich die Tonalität dann im Track «Y.O.Y.O.».

Dann ist es aber für eine Weile vorbei mit den smoothen und easy vibes: Bei «Killing Time» habe ich zum ersten Mal meine Airpods etwas leiser drehen müssen. Im Stile eines Oldschool Raps, spricht mir Elfrid ins Gewissen, während mir Ivan mit elektrisierenden und hochfrequenten Klängen das Trommelfell durchsticht. Es ist grade ziemlich trippy alles und ich bin froh, dass der Player zu den beiden beatless Songs «Eulogy» und «Chorus» wechselt. Es fühlt sich an wie die wundersame Leere nach einer Explosion und ich fühle mich irgendwie auf angenehme Weise getragen. An dieser Stelle, habe ich mich gefragt, wieso noch niemand den Vergleich zur Musik von Anthony Hegarty und James Blake gezogen hat. Auch wenn sich das hier anders anhört, kommen mir diese beiden jetzt immer wieder in den Sinn.

ELFRID THE THIRD & IVAN EYES - Euolgy

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Dann «The Fences» (siehe Video oben) Es ist der poppigste Song auf dem Album und wenn man das so sagen darf, auch das Stück was sich am ehesten generisch anfühlt. Das schmälert den Hörgenuss kein bisschen. Der Song ist stimmungsvoll, angenehm treibend und würde sich bei einer nächtlichen Autobahnfahrt äusserst gut eignen. «Belly Of The Beast» ist wieder ganz anders. Es ist ein ruhiges Indiestück und erinnert mich an die guten Zeiten von Bands wie Animal Collective und Mount Kimbie.

Die letzten knapp fünf Minuten bestechen durch einen minimalistischen aber überaus stilvollen LoFi Hip-Hop Beat.  Der Abschlusssong hinterlässt einen wohligen und süsslichen Nachgeschmack, der hoffentlich nie verduftet. Nach dem neunten Song «ME&» spuckt mich die Scheibe wieder in der Realität aus. Ich habe Mühe, mich zurechtzufinden.

Fazit

«A Case Of Paranoia» von «Elfrid The Third & Ivan Eyes» ist ein gelungenes Debüt und trifft den Zeitgeist der jüngeren Generation ziemlich genau: (Selbst)bewusst, ausprobierend und einem Rausche nicht abgeneigt.

ELFRID THE THIRD & IVAN EYES - A Case of Paranoia
ELFRID THE THIRD & IVAN EYES - A Case of Paranoia

ELFRID THE THIRD & IVAN EYES - A Case of Paranoia
Das Album ist am 12. Mai 2023 auf CYNIC erschienen und ist online stream- und kaufbar. Unterstützt wurde die Platte durch den Regio Sound Credit 2023

Artwork
Cover sculpture: "other selves" by Anisia Affek
Cover design: Shivani Sawant

Elfrid the Third & Ivan Eyes

ELFRID THE THIRD and IVAN EYES © Amelie Amei Kahn-Ackermann
ELFRID THE THIRD and IVAN EYES © Amelie Amei Kahn-Ackermann
02/03/2023

Beiträge
5 000 CHF | RegioSoundCredit Tonträger, Musikvideo | 2023

über John Bürgin

Der gebürtige Basler ist seit Anfang an beim jungen SRF-Radiosender Virus in der Musikredaktion mit dabei und ist seit einigen Jahren Teil der SRF Fachredaktion Musik und ist Teil der Sounds! Redaktion bei SRF3 und ist dort der Gatekeeper für alles Elektronische und produziert das Format «sounds!mixtape». Daneben steht er auch selbst regelmässig hinter den DJ Decks.