L’Arbre Bizarre - Ortolan: Sind Vögel frei oder an den Himmel gekettet?

Auf ihrem dritten Longplayer spielen die Basler Post Punks härter auf denn je. Die Songs sind knapp, prägnant, und behandeln am liebsten die toxischen Zustände der sisypischen Arbeitskultur. Und zwar geradezu so, als ob ihnen demnächst die Luft wegbleiben würde.
Mirco Kämpf
Am Ende des Albums mag manch eine Hörer*in ziemlich erschöpft sein. Nach 13 Songs in bestenfalls erhöhter Lautstärke verschwimmen Tinnitus, Hässigkeit, und allerlei Bilder eines kapitalistischen Ist-Zustands zu einer erstaunlich angenehmen Mischung aus Depression, Zufriedenheit und einer Post-Blast-Clarity. Denn, ja, «Ortolan» ist das bisher härteste Album der Band und mag überrumpeln, doch es ist im Grunde genommen auch ein Album entgegen der Erschöpfung. Die vier 30something boys sind nämlich keine klassische all-male Rockkapelle mit Songs "about nothing", sondern geben sich Mühe, ihre Aussenwelt wahrzunehmen, aufzusaugen und dann auch wieder auszuspucken.
Die Dekadenz
Wer sich fragt, was sich hinter dem Albumtitel ‘Ortolan’ verbirgt, sollte diesen Absatz besser überspringen, denn schön ist’s nicht:
Es handelt sich um eine Vogelart, welche seit den 1960er Jahren starke Bestandseinbrüche einbüsst. Ein Hauptgrund dafür ist, dass dieser in der pyrenäischen haute cuisine als Delikatesse gilt. Dort wird dem Singvogel zuerst die Augen ausgestochen, bevor er gemästet, gerupft und in Armagnac ertränkt wird. Ein quälerischer Akt, der nicht überall verboten ist, und sich die meisten auch gar nicht vorstellen mögen, bildet für L’Arbre Bizarre den richtigen Zündstoff, auf ihrem 1:50min kurzen Opener «Feast»
«Give me this plate! / To load it up with guilt – it’s great! / Ignore all your worries / Just go for it – enjoy»
L'Arbre Bizarre - Feast (Official Video)

Die Prominenz
Die Band setzt einen Sturm in Bewegung, der sich von Anfang bis Ende durchzieht, angepeitscht von wilden Tieren der Marke Fender: Mustang, Jaguar, 15Watt Amps welche ein Ticken zu laut, also auf «crunch» eingedreht sind. «Ich habe das Gefühl, wir sind über die Jahre immer direkter geworden» erzählt Gitarrist Andri Mahler. Das liegt wohl nicht zuletzt auch daran, dass sie nun nicht mehr als Quintett unterwegs sind. Wo auf ihrem letzten Album Bokeh (Review von 2016) noch Florian Denzinger als weiterer Klangerzeuger dabei war, verzichtet das jetzige Quartett auf allfällige Verzierungen und fokussieren sich vermehrt auf das Stürmen und Drängen, nicht ohne eine schelmische Hintertür offenzulassen, «kann schon sein, dass unser nächstes Album Progrock wird» lacht Mahler. Zu den weiteren Krachmachern zählen Kevin Seiler (Gitarre, Gesang), Sven Seiler (Bass) und Thomas Bachmann (Drums).
Die Interferenz
Zwischen dem letzten und dem neuen Album liegt eine Pandemie und somit auch soziale, wirtschaftliche und geistige Distanzierungen, Isolationen und politische Radikalisierungen. Auch im Nachhall dieser Zeit blieben Fragen im Raum stehen: Wie kann man miteinander reden, wenn gewisse Vorstellungen von Realität und Wirklichkeit plötzlich so krass auseinandergehen? Wie erzieht man Kinder in so einem Klima? Es sind omnipräsente, oft unausgesprochene Fragen, welche die Band nur zu gern zu einem Wirbelsturm auffächert. In Songs wie «Whitesmith» versucht Sänger und Gitarrist Kevin Seiler sich den Tatsachen des Entsetzens entgegenzustellen, wie ein Federvieh, welches jeden Moment gegen die Fensterscheibe knallen könnte. Der akustische Tunnel der Unzulänglichkeiten ist beklemmend:
«My eyes. Realize. These lies. The sky is burning / Waste of time. No one here. Too much light. I’m going blind.»
Die Performance
Nein, das hier ist keine Dystopie. Es sind Songs übers Fressen und gefressen werden. Über die prähistorische Logik der kapitalistischen Arbeitsmoral und bezogen auf den Song Guilt. People. Fun. vielleicht auch eine Verortung davon, was es heisst, als privilegierte*r Schweizer*in überhaupt Lärm machen zu können. Denn mit jedem Luftsprung des Sängers, jedem Räkeln in jeder Bierlache eines jeden Clubs in welchem die gestandene Band mit diesen Songs noch auftreten mag, geben sie auch ein Zeichen an ihre Community: Sie sehen uns, sie hören uns, wir geben uns nicht geschlagen.

L'Arbre Bizarre - Ortolan
Das vollständige Album erscheint bei Sixteentimes Music am 16.5.25 Online und als Vinyl und kann direkt im Shop bestellt werden, Limited Edition auch erhältlich! Die Produktion wurde unterstützt durch den RegioSoundCredit 2024/2.
Live
31. Mai 2025 Releaseshow in der Kaschemme Basel, Tickets gibts HIER
Verlosung
Wir verlosen 1x Vinyl für den heimischen Plattenspieler.
L'Arbre Bizarre

Beiträge
4 000 CHF | RegioSoundCredit Tonträger | 2024
3 000 CHF | Resonate | 2018
3 000 CHF | RegioSoundCredit Tournee | 2016
About Mirco Kaempf
Sein Leben begann mit einer Best-Of-Kassette der Beatles, welche ihm bis heute noch in den Ohren klingt und die Pforten zur Welt öffnete. Zwischen Harmoniesucht & Destruktionslust besuchte er in London eine Kunstschule, wo er vor allem für Malerei, romantische Dichter*innen & Punk Superheroes schwärmte. Seit 2016 ist er Co-Verantwortlicher des Radio X Musikprogramms, wo er sich begeistert, für Klänge abseits des Kanons. Er ist MAZ dipl. Journalist.