Harvey Rushmore & The Octopus – Freedomspacecake: Offenes Rennen

Reviews
Harvey Rushmore & The Octopus © Marisa Nef
Harvey Rushmore & The Octopus © Marisa Nef

«Eine Welt, die von einer Katastrophe zur nächsten schreitet», so beschreibt die Basler Band Harvey Rushmore & The Octopus das feindliche Klima, in der ihr drittes Album entstanden ist. Kein Wunder, brennen auf dem Kuchen einige dunkle Kerzen. An vorerst rund 20 Konzerten wird Freedomspacecake als audiovisueller Trip vorgestellt.

Album Review

Die Welt steckt mitten in handfesten Krisen, weder ist die Corona-Seuche vorbei, noch scheint der Krieg gegen die Ukraine auf ein Ende zuzusteuern. Der Klimawandel zeigt immer klarer sein ungeschminkt heiss-kalt-trockenes Gesicht und die Regierungen bereiten ihre verunsicherten Untertan*innen schon mal auf Frieren, Verbote und Verzicht im Winter vor. So wenig Zukunft war selten.

Gut, gibt es neben Beruhigungspillen, den Weiten des Internets, TV-Fussball, Zucker und Netflix-Dauerserienfeuer noch die holde Kunst, die schöne Musik, die raue Subkultur, die Zeitmaschine, zum Beispiel eben: Harvey Rushmore & The Octopus (HRO) und sein musikalisches Universum zwischen Psych-Rock, Garage-Surf, Hot Rod und ein wenig Shoegaze-Folk.

Freedomspacecake, die dritte fliegende Vinyl-Untertasse des Quartetts mit Hauptquartier Basel, erscheint fast vier Jahre nach dem mysteriös-fantastischen Futureman, der im Herbst 2018 noch unbeschwert, bezaubernd und wild flackernd von sagenhaften Welten, Abenteuern und Liebschaften erzählen konnte. In jenem Jahr und auch im folgenden 2019 ging die Band auf ausgedehnten Tourneen zwischen Santiago de Compostela, Mareuil-sur-Cher, Bologna, Prag und Kaschemme Basel. Dann kam Corona in die Welt. Und blieb.

Die Welt, die wir kannten – wo ist sie hin?

«Freedomspacecake ist HROs Antwort auf eine Welt, die von einer Katastrophe zur nächsten schreitet, ohne die Hoffnung auf etwas Besseres aufgegeben zu haben», heisst es im Press Release des Plattenlabels. Der Eindruck beim ersten Hören der neuen LP täuscht also nicht ganz: Auch die vier Band Mates agieren – wie aktuell viele eher sensible Künstler*innen – aus einer verunsicherten, hinterfragenden und neu ordnenden Defensive heraus. Rückzug ist auch eine kreative Kraft. Wie klingt sie also, HROs Antwort auf diese hysterische und unversöhnlich gewordene Welt?

Nicht ganz von dieser Welt: schön, bedrückend, zerrissen manchmal, und tanzbar. Die Belege dazu: Drei Singles, die die Band für ihr drittes Album vorab veröffentlicht hat: «Rainbow Machine», «Speedmaster» und «Harvey Stardust».

«Rainbow Machine» kam bereits im Februar raus und erinnerte mit dem wehmütig düsteren Klang- und Wort-Bild stellenweise an den verträumten Shoegaze-Pop der britischen Band Lush oder an die einstigen, immer noch unschlagbaren Psych-Rocker The Gun Club. In «Rainbow Machine» droht die Welt mit dem klagenden Gesang von Massimo Tondini (voc, git) im Nacken unterzugehen: «The world we knew became / a giant grave» – und endet mit der bedrückenden Sequenz, wie die einst rettende Arche unwiderruflich ablegt und im silbernen Nebelschleier verschwindet. Die Welt, die wir kannten – wo ist sie hin? Und an welchem todgeweihten Ufer bleiben wir zurück?

Doch egal, wie dunkel die Welt da draussen ist: HRO denken nicht ans Aufgeben. «Speedmaster» (zweite Single) ist wieder ein treibender, vibrierender Underground-Hit, wie wir ihn schon auf dem ersten Album mit «Octopus Ride» vorgefunden haben. Allein für «Speedmaster» mit seinen gefährlichen Highways und Falschfahrern lohnt sich der Kauf der Vinyl-LP, die wieder mit einem schön skurrilen Cover daherkommt (Artwork: Stefan Cecere, Tasten- und Elektronikgerätemann der Band). Und nicht zu vergessen die dritte Single, denn «Harvey Stardust» knackt schön in der Psychedelic-Rock-Leitung vom imaginären Silbermondspaziergang mit David Bowie runter auf die Erde.

Harvey Rushmore & The Octopus © Mehdi Benkler
Harvey Rushmore & The Octopus © Mehdi Benkler

Mit HRO gegen das Böse

Aufgenommen wurde im Madagascar-Studio von Band-Schlagzeuger Jakob Läser in Basel, gemischt von Jari Antti (Monoton Studio Berlin & Basel, ex Navel, in deren letzter Formation auch Jakob Läser und Massimo Tondini mitspielten) und mit dem amtlichen Master-Gütesiegel von Dan Suter (Echochamber Zürich) versehen ins Presswerk geschickt, wo die lange Wartezeit begann (eigentlich waren die Songs bereits im Frühling 2021 im Kasten). Nach dem letzten Album auf dem Basler Label A Tree In A Field Records heisst die neue Heimat nun Taxi Gauche Records in Zürich.

Freedomspacecake ist eine LP mit neun Songs, die mitten in den globalen und privaten Katastrophen entstanden sind und deren Vinylversion nun mit einiger Verspätung endlich aus dem Presswerk angeflogen kommt.

Ein wenig hin- und hergerissen klingt dieses Album, ein offenes Rennen zwischen der dunklen Magie des Rock'n'Rolls, der süssen Sehnsucht nach einem sorglosen Leben in astralen Welten und dem Träume killenden Würgegriff der Seuche. Fazit: Weniger Fantasy – mehr Dystopia. Weniger Surf – mehr Psychedelic. Weniger Future, mehr Mensch.

Für nächtliche Abenteuer sind die Live-Shows von HRO zu empfehlen, die wegen der visuellen Komponenten immer ein ganz eigener Trip zwischen Retro-Welten, B-Movies, Speed, Fantasy und Psychedelic sind.

Also: Ab ins Ruderboot, hinaus auf die dunkle See, wo der Kraken tanzt! Als Proviant reicht ein Spacecake und den gewünschten Kurs male jede*r selber mit Goldstaub ans Firmament. Damit nicht das Böse, nicht der Schmerz und nicht der Krieg1 am Ende die Oberhand gewinnen möge in dieser, unserer Welt – sondern, eben, die Guten.

 

1 Lyrics des Songs «Freedomspacecake»: «There is evil, there is pain / And war, and war»

Harvey Rushmore & The Octopus - Freedomspacecake, 2022
Harvey Rushmore & The Octopus - Freedomspacecake, 2022

Harvey Rushmore & The Octopus – Freedomspacecake
(Taxi Gauche Records) erscheint am 9.9.2022 als LP, CD und digital mit einem Beitrag des RegioSoundCredit.

Erhältlich hier
Eine Special Edition als Skateboard-Decks gibt es bei Doodah

LP/CD-Verlosung
Das Musikbüro verlost 1 LP von Freedomspacecake.
Teilnehmen: E-Mail ans Musikbüro senden. Es wird keine Korrespondenz geführt.

HRO sind:
Massimo Tondini (voc, git, synth), Jonathan Meyer (bs), Jakob Läser (dr, perc, beats, synth), Stefan Cecere (org, synth, drones).

Discographie:
2018 Futureman
2017 The Night

Harvey Rushmore & The Octopus

Harvey Rushmore & The Octopus © Mehdi Benkler 2018
Harvey Rushmore & The Octopus © Mehdi Benkler 2018
20/02/2023

Beiträge
5 000 CHF | RegioSoundCredit Tournee | 2022
6 000 CHF | RegioSoundCredit Tonträger, Musikvideo | 2020
4 000 CHF | RegioSoundCredit Tonträger, Tournee | 2018
2 000 CHF | RegioSoundCredit Tournee | 2017
3 000 CHF | RegioSoundCredit Tonträger | 2017

Indie / Rock / 2017 / 2018 / 2020 / 2022
Play Video

HRO on Tour

  • 03.09.2022 Croc’the Rock (Summer session), Assens  
  • 10.09.2022 Jor Cana Festival, Trimbach 
  • 06.10.2022 Rössli, Bern           
  • 13.10.2022 Kraftfeld, Winterthur          
  • 14.10.2022 Royal, Baden 
  • 15.10.2022 Between (Night of the Vampire), Bregenz A
  • 20.10.2022 Gannet, Basel (mit Mr. Ray)
  • 21.10.2022 Bogen F, Zürich (mit Mr. Ray)
  • 22.10.2022 Plan-3b, Bottighofen
  • 28.10.2022 Rocking Chair, Vevey         
  • 24.11.2022 TBA
  • 25.11.2022 Heppel & Ettlich, München DE       
  • 26.11.2022 Association Artung, Muespach FR 
  • 27.11.2022 Oetinger Villa, Darmstadt DE
  • 28.11.2022 Schokoladen, Berlin DE 
  • 29.11.2022 Ostpol, Dresden DE
  • 30.11.2022 Ilses Erika, Leipzig DE
  • 01.12.2022 TBA
  • 02.12.2022 Schaubude, Kiel DE           
  • 03.12.2022 TBA
  • 04.12.2022 TBA